26. Juni 2016

Sonntagsgedanken ... Brexit und jetzt?

Das Kind ist in den Brunnen gefallen und jetzt ist das Geschrei groß. Wie konnte das passieren? Niemand hat damit gerechnet? Warum eigentlich nicht? Der Brunnen war da, ungesichert, einladend, verlockend.
Welchen Verlockungen oder Versprechen sie erlegen sind, googlen angeblich viele Engländer erst jetzt. Nach dem Brexit. Sie haben "Leave" angekreuzt und forschen jetzt nach, was damit eigentlich gemeint war. Das Internet verspricht ja zumindest schnelle Antworten. Schnelle Lösungen wird es jetzt nicht mehr bieten können. Wer in den Brunnen fällt, sollte zumindest schwimmen können. Ein Kreuzchen ist schnell gemacht, ein Like schnell gesetzt. Daumen hoch, Daumen runter. Schon im alten Rom wurde auf diese Art über so manches Leben entschieden.


Erschreckend, dass diese Art der Entscheidung immer mehr gefordert wird. Volksentscheid nennen es die einen, Referendum die anderen.
Klingt ja auch erstmal gut: Das Volk entscheidet. Jeder einzelne darf mit abstimmen, wie seine Zukunft aussehen soll. Aber darf er das wirklich? Und sollte uns nicht stutzig machen, dass gerade die rechten Flügel so auf diese Art des Volksentscheids pochen? Gerade die, die doch eigentlich sehr schnell sind mit ihren Meinungen, Vorurteilen, Parolen. Und laut.
Ist es tatsächlich noch gelebte Demokratie, wenn unsere Aufgabe nur noch darin besteht, wie Voyeure in der Arena zu sitzen und irgendwelchen Marktschreiern zu folgen, die rechte Daumen oder Hände hochrecken? Wer am lautesten schreit, kriegt die meisten Kreuzchen. Die plakativsten Parolen erhalten die meisten Likes. Und hinterher kommt dann das große Staunen. Immer wieder. Erst Mitläufer, dann Nichtwissenwoller.
Das alles hat mit Aufklärung, mit Information, mit Zusammenhänge herstellen, mit Hintergründe beleuchten so rein gar nichts mehr zu tun.
Schon in der römischen Arena ging es nur darum, wer sich am besten präsentieren konnte. Das ist heute nicht anders.
Und wir fallen wieder darauf herein. Wir. Nicht nur die Engländer. Ich finde nicht, dass uns diese händereibende Überheblichkeit zusteht. Sind wir tatsächlich so viel besser informiert? Wissen wir wirklich, worum es geht, was auf dem Spiel steht?

Es war sicher nur Zufall, dass am Tag des Brexit auch die diesjährige Nominierung für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekannt gegeben wurde. Carolin Emcke bedauerte in einem Interview das unglückliche Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse.
Ich finde, einen besseren Termin hätte es kaum geben können. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird in der Frankfurter Paulskirche verliehen. Hier schuf die Nationalversammlung die erste demokratische Verfassung für Deutschland.

Die Demokratie, in der ich lebe, wurde mir von anderen in die Wiege gelegt. Ich musste nicht dafür kämpfen, ich musste sie nicht erringen. Ich darf sie leben.
Vielleicht ist es an der Zeit, sich das einmal bewusst zu machen.
Freiheit. Gleichheit. Brüderlichkeit. Menschenwürde. Meinungsfreiheit. Religionsfreiheit. Das sind nicht einfach nur Floskeln.  Das ist die Grundvoraussetzung. Und es geht auch nicht um die Frage, ob Brüderlichkeit auch die Schwestern meint. Wortklauberei statt Inhalte.  Darin sind wieder einige unter uns sehr gut.
Es steht etwas auf dem Spiel. Etwas, für das andere gekämpft, gelitten, sogar ihr Leben gelassen haben. Und das ist zu kostbar, als dass ich nur mit einer Handbewegung oder einem Kreuzchen darüber entscheiden möchte. Und das sollte jedem von uns zu kostbar sein.
Vor der Demokratie stand die Aufklärung. Vielleicht ist es an der Zeit, da wieder anzusetzen. Aufklären. Informieren. Über Inhalte reden. Nur selten hat der recht, der am lautesten schreit. Wir sollten daran arbeiten, dass die Marktschreier unter uns kein Gehör mehr finden, weil wir mit Denken beschäftigt sind.




18. Juni 2016

Was ist mit dieser Welt nur los?

Eigentlich habe ich meinen Blogbeitrag für heute schon geschrieben, geteilt, abgeheftet.
Dann habe ich in anderen Blogs gestöbert. Eine Kollegin neu verlinkt: Gesine Schulz. Weil ich schon ihre "Tüte grüner Wind" geliebt habe. Und mich über ihre neuen Kinderbücher freue.
Und dann bin ich über diesen Beitrag gestolpert: Ein Aufschrei von Jens Schönlau, sein fifty-fifty-Blog begleitet mich schon lange.


Seinen Aufschrei heute möchte ich mitschreien. Und teilen. Immer wieder teilen. Und am liebsten noch ausdrucken und in jeden Briefkasten stecken. Denn auch um mich herum wohnen sie. Die Hassprediger. Die Waffennarren. Und die Flaggenhisser. Jeden Morgen wird hier in der Straße die Schwarz-Weiß-Rote gehisst. Verboten ist sie nicht. Warum auch? Macht doch nix, wenn jemand so offen seine rechte Meinung  zur Schau trägt. Als ich noch nicht so viel über Flaggen wusste, mich nur gewundert habe, versuchte ich zu recherchieren. Fand heraus, dass diese Farben tatsächlich erlaubt sind. Und deshalb als Ersatz für alle verbotenen Flaggen und Symbole von der rechten Szene gerne benutzt werden. Weil ich Wikipedia als Quelle alleine nur selten traue, telefonierte ich auch mit der örtlichen Polizei, wurde weiter verbunden mit einem, der sich auskennt mit Flaggen und ihrer Bedeutung. Und wurde am Telefon angeschrien. Ja natürlich sei diese Flagge erlaubt. Ob ich auch zu denen gehören würde, die jetzt in jedem, der eine Deutschlandflagge hisse, einen Nazi sehen würde? Diese Scheißdenunzianten immer. Mein vorsichtiger Hinweis, dass es sich keineswegs um die Schwarz-Rot-Goldene sondern um die Schwarz-Weiß-Rote handele, wurde mit einem schlichten "na und?" quittiert. "Die ist erlaubt. Fertig. Lassen Sie den Mann doch machen. Das ist Meinungsfreiheit."
Meinungsfreiheit. Klar. Auch ein wertvolles Gut, das diejenigen, die solche Flaggen vor sich hertragen, gerne niederknüppeln würden.
Und deshalb ist der Aufschrei von Jens so wichtig. Damit wir alle später nicht wieder sagen: Wir? Wir haben von nichts gewusst! Ehrlich nicht!


Schreibwerkstatt an der Hola

Das war schon ein ganz besonderer Termin für mich. Gestern durfte ich an der "Hola" (richtig: Hohe Landesschule Hanau) eine Schreibwerkstatt für SchülerInnen der Oberstufe abhalten. So besonders war das, weil ich selbst an dieser Schule vor über dreißig Jahren mein Abitur gemacht habe. Schon als Schülerin habe ich viel und gerne geschrieben, an Lesungen teilgenommen, Texte in Schüler- und Regionalzeitungen veröffentlicht. Aber dass ich einmal so viele Jahre später an meine eigene Schule zurückkehren würde, um mit Jugendlichen zusammen an neuen Texten zu arbeiten, das hätte ich mir nicht erträumen lassen.
Und es hat richtig viel Spaß gemacht!!
Einen Vormittag lang hatten wir Zeit, um in vielen kleinen Übungen etwas tiefer in die Materie des kreativen Schreibens einzutauchen. Natürlich ist ein Vormittag viel zu kurz, um wirklich das ganze Spektrum der Möglichkeiten kennen zu lernen. Ich hatte mich deshalb von Anfang an auf ein Thema konzentriert: Die Figurenentwicklung.

(c) privat

Wir haben über uns selbst geschrieben, wir haben fiktive Figuren in einer langweiligen Wartesituation beobachtet und Steckbriefe verfasst, wir haben die Figuren agieren lassen und von außen beschrieben, wie sie sich dabei bewegen, was sie nur durch ihr Tun über sich verraten, wir haben die Figuren selbst zu Wort kommen lassen, in dem sie uns erzählten, was sie wirklich denken. Wir haben in Partner- und Gruppenarbeit unsere Figuren Dialoge führen lassen, in dem wir sie dazu gebracht haben, miteinander zu streiten.
Viele witzige, spannende, traurige und berührende Texte sind an diesem Vormittag entstanden, einen Teil davon könnt ihr in den nächsten Tagen auf der Homepage der Hohen Landesschule nachlesen.
Mir hat der Vormittag sehr viel Spaß gemacht und ich bedanke mich an dieser Stelle noch einmal bei Tasnim, Julia, Pia, Laura, Philipp, Felix, Paula, Ceyda, Kübra, Laetitia, Madlene, Helena, Fiona, Imke und Hannah für die tolle Zusammenarbeit.

Und wer jetzt selbst Lust bekommen hat, einmal an einer solchen Schreibwerkstatt teilzunehmen, sollte mal einen Blick auf meine Homepage werfen. Neben vielen Kursen für Erwachsene gibt es dort auch Kurse für Kinder und Jugendliche, Angebote für Schulen und für Jugendbildungszentren u.ä.
Einfach mal reinschauen und weitersagen: Schreibkurse mit Jutta Wilke

15. Juni 2016

Es gibt so Tage

... die beginnen ganz grau und trübe, später kommt literweise Regen dazu, alle muffeln sich an, Streit liegt in der Luft, im Briefkasten nur Mahnungen, das Schreiben will nicht so recht von der Hand und den einzig schönen Termin muss man aus Zeitgründen absagen. Am liebsten möchte man an solchen Tagen ins Bett fliehen.
Und dann kommt eine Mail der Liebslingsbuchhändlerin. Und plötzlich geht die Sonne auf.

Aus der Mail: 
Da kam doch eben eine junge Frau mit ihrem Neffen und erkundigte sich nach deinen Büchern. Sie sagte, ihr Neffe sei sonst überhaupt kein großer Leser und es wunderte sie schon, aber er hätte so begeistert erzählt. Und dann kam heraus, dass er bei der Schulklasse dabei war, wo Du die Unterrichtsstunde gehalten hattest - HA! Erfolg auf ganzer Linie würde ich sagen! Er hat Wie ein Flügelschlag und Dornenherz mitgenommen und war ganz beglückt. 

Und jetzt bin ich ganz beglückt. Die Lesung hatte ich gestern in einer fünften Klasse hier in Hanau. Ich war sozusagen der Preis einer Aktion meines Buchladens zum Welttag des Buches. Na - und wenn solche Lesebegeisterung nach einer Lesung übrig bleibt, dann stimmt einfach alles. Sogar der Regen. Und jetzt mache ich mich hochmotiviert an die Vorbereitung zum Schreibkurs, den ich morgen in einer Oberstufengruppe halten darf.

13. Juni 2016

Das leere Blatt Papier

Ich habe ja schon öfter mal darüber gesprochen bzw. geschrieben: Über die Angst des Autors vor der leeren Seite, dem leeren Blatt Papier, dem leeren Monitor. Auch in meinen Schreibkursen ist das immer und immer wieder Thema.
Da will man so gerne schreiben, ist fest entschlossen, heute das Manuskript um einen ganz entscheidenden Teil voranzutreiben, will endlich das begonnene Kapitel in den Griff kriegen, die Szene zu Ende schreiben, alles ist perfekt, Kinder aus dem Haus, Küche aufgeräumt, Stifte und Papier ausreichend vorhanden, Kaffee gekocht - wahlweise das Weinglas gefüllt - und dann .... starrt man auf das leere Blatt und nichts geschieht. Keine Eingebung, kein Text, der aus der Feder fließt oder wenigstens in die Tastatur tropft, nichts, einfach nichts.
Und irgendwann steht man dann doch wieder auf, räumt die Spülmaschine aus, wirft noch eine Waschmaschine an, schreibt Einkaufszettel (die schreiben sich flüssig und ohne abzusetzen), saugt eben flugs mal durch, geht zum Briefkasten, schenkt sich Kaffee nach (wahlweise Wein), geht wieder zum Schreibtisch und ... nichts.

Dagegen gibt es natürlich verschiedene Tricks, Tipps erfahrener Autoren, die von "schreib einfach nur ein Wort" bis hin zu "klapp das Ding zu und fahr shoppen" reichen, manche raten auch zu einem dritten Glas Wein oder zu einem anderen Brotberuf. bei Titus Müller bin ich heute über einen Satz gestolpert, der für mich so einleuchtend war, dass ich plötzlich einfach drauflos geschrieben habe:

"Ein schlechtes Manuskript kann man am nächsten Tag überarbeiten, ein leeres Blatt Papier nicht."

Also ran an den Text. Schreibt. Damit ihr morgen was zum Überarbeiten habt. Und keine Alkoholvergiftung.

11. Juni 2016

Gartenträume

Trotz des schlechten Wetters nahmen die Gartenpostings hier langsam viel Raum weg. Deshalb habe ich mich entschlossen, dem Garten doch wieder einen eigenen Blog einzurichten und mich in diesem Blog hier wieder mehr ums Schreiben und Lesen und den ganzen Rest zu kümmern. Wer also ab und zu in meinem Garten vorbeischauen mag, ist bei meinen GARTENTRÄUMEN genau richtig. Auch andere schöne Gartenblogs werde ich euch dort von Zeit zu Zeit vorstellen und ich möchte - nachdem wir hier alle zur fleischlosen Ernährung übergegangen sind - euch gerne auch mit dem einen oder anderen Rezept aus dem Garten bekannt machen.


Fundsache 3


Gefunden in "Lauter Verrisse" von Marcel Reich-Ranicki, Ullstein-Verlag, 1973

6. Juni 2016

Online-Schreibkurse

Von meiner neuen Schreibschule im Haus habe ich euch schon erzählt, jetzt sind auch die ersten Kurse eingetragen und warten auf ihre Teilnehmer: www.wortart-juttawilke.de

Ein besonderes i-Tüpfelchen, das ich gerade meinen weiter entfernt lebenden BlogleserInnen ans Herz legen möchte, sind die Online-Schreibkurse, die ich ebenfalls mit in mein Kursprogramm genommen habe.



Diese finden nämlich entgegen der anderen Kurse nicht in der Gruppe sondern ganz individuell statt, die Teilnehmer können sich ihren Startzeitpunkt selbst aussuchen, bekommen dann von mir in regelmäßigen Abständen Aufgaben zugeschickt, die sie in einem bestimmten zeitlichen Rahmen zu Hause ganz in Ruhe erledigen können. Und das Wichtigste: Die Teilnehmer arbeiten an ihren eigenen Romanprojekten oder - ideen. Selbstverständlich wird jedes Modul von mir erst ausführlich besprochen, bevor es dann weiter zum nächsten Baustein geht.

Der Online-Kurs besteht aus zehn Bausteinen, nach Ende des Kurses hat jeder Teilnehmer ein erstes umfassendes Konzept für seinen geplanten Roman in den Händen. Themen wie Exposé schreiben, verschiedene Plot-Methoden, Figurenentwicklung, Spannungsaufbau oder Dialoge werden im Online-Kurs selbstverständlich ebenfalls erarbeitet.

Falls jetzt jemand von euch neugierig geworden ist: HIER findet ihr mehr Informationen zu meinen Online-Kursen.


2. Juni 2016

Das wilde Leben

"Weißt du Mama, wir spielen diese Computerspiele so gerne, weil man da richtige Abenteuer erleben kann, so mit Lagerfeuer, im Wald schlafen, klettern und allem Drum und Dran." Mit diesen Worten versuchte mein 12-Jähriger mich von der Notwendigkeit eines neuen Spiels zu überzeugen. Ich muss dazu sagen, dass meine Jungs alle bei den Pfadfindern aktiv und so zum Glück auch noch im realen Leben mit Wanderschuhen, Rucksäcken, Feuerholz und Taschenmesser in der freien Natur unterwegs sind.
Trotzdem löste diese Bemerkung ein langes Gespräch am Familientisch aus, ein Gespräch darüber, wie sehr Kindheit sich verändert hat - und das wirklich nicht immer zum Guten.
Bevor die Sicherheitsfanatiker unter euch jetzt aufschreien - ja ich weiß, dass viele Dinge heute gefährlicher geworden sind. Höheres Verkehrsaufkommen, schnellere Autos, giftige Umwelt und und und ... trotzdem .. wenn ich meinen Kindern von meiner Kindheit erzähle, ernte ich leuchtende Augen und neidische Blicke. Und wir haben einmal gegenüber gestellt, wie das "damals" (ich bin Jahrgang 1963) war und wie es "heute" (2016) ist.
Und nochmal der Hinweis: Natürlich ist es völlig richtig, dass heute nicht mehr jeder Müll im Garten verbrannt werden darf und Autos nicht mehr im Hof gewaschen werden dürfen. Aber aus Kindersicht ist das auch sehr bedauerlich.

Damals: Regelmäßig jeden Samstag gab es ein großes Feuer im Garten, hier wurde das Altpapier und Gartenabfälle verbrannt. Über der Glut grillten wir Würstchen, wir kokelten mit langen Ästen, spielten Indianer und machten Rauchzeichen mit Badehandtüchern.

Heute: Feuer im Garten sind nicht mehr erlaubt, bestenfalls in einer Feuerschale. Wollen wir ein Lagerfeuer auf unserer Streuobstwiese machen, müssen wir vorher die Feuerwehr von unserer Absicht informieren und auf die Genehmigung warten.

Damals: In unserem Garten standen große Eisenstangen/Teppichstangen mit Wäscheleinen. Wir kletterten auf die Teppichstangen und spielten Zirkus. Kopfüber baumeln, hangeln, an Stangen hochklettern.

Heute: Kaum noch ein Kind kann an einer glatten Stange oder einem Seil hochklettern. Im Trockner kann man das so schlecht üben.

Damals: Ich schnallte mir alte Rollschuhe mit Einmachgummis an die Schuhe und sauste die steilen Straßen hinunter.

Heute: Inliner gibt es zum Glück, aber ohne Knieschoner, Handgelenkschoner, Ellbogenschoner und Helm darf kaum noch ein Kind auf die Straße.

Damals: Wir fuhren zum Campen nach Italien. Vater, Mutter, zwei Kinder. Papa baute die Rückbank seines PKW aus, dann kamen dorthin die Säcke vom Hauszelt, das Schlauchboot, die Luftmatratzen, das Gepäck und oben drauf die Bettwäsche. Auf diesem gemütlichen Gepäckberg kuschelten wir Kinder während der Fahrt. Gurte? Kindersitze? Gab es nicht.

Heute: Angeschnallt im Kindersitz für viele Stunden.

Damals: Die Landwirte stapelten kastenförmige Strohballen zu hohen Mieten am Wegrand. Wir bauten daraus Höhlen und Burgen, kletterten darauf herum, legten Wolldecken drüber und drunter.

Heute: Strohballen sind heute riesige Rollen, die abtransportiert werden.

Damals: Durch unser Dorf floss ein Bach, wir bauten Floße, Staudämme, fingen Fische und Kaulquappen, spielten stundenlang am Wasser

Heute: Der Bach fließt inzwischen unterirdisch, zum Fluss darf kaum ein Kind hier, man könnte ja ertrinken

Damals: Wir bauten Iglus und machten uns im Iglu ein Lagerfeuer

Heute: Schnee? Fehlanzeige. Lagerfeuer? Niemals und schon gar nicht ohne Erwachsene

Damals: Wir spielten auf der Straße Volleyball und Federball. Wenn ein Auto kam, wurde das Netz oder Seil eben kurz abgehängt, auf die Straße gelegt und das Auto fuhr langsam darüber.

Heute: Federball auf der Straße? Zu gefährlich.

Damals: Wir sind zur Grundschule gelaufen. Etliche Kilometer.

Heute: Die Kinder werden gefahren. Manchmal nur 500 Meter.

Damals: Radfahren ohne Helm

Heute: Radfahren nur mit Helm. Mit Kinderrad. Mit Stützrädern.

Damals: Nur zwei bis drei Fernsehprogramme. Und für Kinder nur am Nachmittag.

Heute: Kann man die Programme nicht mehr zählen. 24 Stunden Dauerberieselung.

Damals: wenn ich einkaufen ging, dann immer zuerst in den winzigen Edeka, danach zum Bäcker, zum Metzger, zum Bauern für Eier und Milch.

Heute: Aldi

Damals: wir malten stundenlang auf der Straße. Riesige Straßenbilder.

Heute: die Nachbarn schimpfen schon, wenn man nur auf dem Gehweg malt.

Damals: Wir kletterten auf jeden Baum.

Heute: Erst kürzlich wurden meine Jungs von einem "öffentlichen" Baum runtergejagt

Damals: Riesige Schneeballschlachten auf dem Schulhof

Heute: Schnee? Fehlanzeige. Und falls doch? Jedes meiner fünf Kinder musste schon einmal eine Strafarbeit zu diesem Thema schreiben: Warum es verboten ist, auf dem Schulhof mit Schneebällen zu werfen.







Damals ... ich könnte diese Liste endlos fortsetzen. Und sie macht mich - Sicherheit und Umweltschutz hin oder her - traurig. Das letzte Erlebnis dieser Art: K5 hatte in der Grundschule das Thema Feuer und Licht. Dazu sollten die Kinder Streichholzschachteln mitbringen. Leere!! Auf meine Frage, warum die denn leer sein sollen, bekam ich die Antwort: Damit die Kinder auf dem Schulweg nicht zündeln und keine Hecken oder Häuser anzünden. 
Wenn wir unsere Kinder nur noch in Schutzanzüge stecken, ihnen jedes bisschen Eigenverantwortung absprechen und die Welt zubetonieren, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn sie losziehen und sich eigene Welten suchen. Und wenn sie die nicht mehr finden in der realen Welt - virtuelle Welten gibt es wie Sand am Meer.

Apropos Meer ... damals .. keine Angst, ich hör schon auf.