14. August 2017

Von den Fäden, die das Leben spinnt

Ich schreibe jeden Tag. Aber nicht, weil ich glaube, dass ich der Welt so viel zu sagen hätte, was sie nicht auch ohne mich schon weiß. Ich glaube, ich schreibe eher, um herauszufinden, was diese Welt mir sagen will. Ich schreibe dauernd, aber nicht dauernd für andere. Schreiben ist für mich mehr das fortgeführte Denken. Ich will niemanden erleuchten, glaube nicht, dass ich klüger, besser, weiser bin als andere. Und ich weiß, dass diese Welt sich auch weiterdreht, wenn ich nicht mehr schreibe.
Aber ich würde vermutlich irgendwann innerlich vollkommen verknoten, wenn meine Gedanken nicht aus meinem Kopf durch meinen Arm in meine Hand und von dort durch den Stift aufs Papier fließen dürften. Zeile für Zeile, immer von links nach rechts und von oben nach unten in einer festgelegten beständigen Richtung. Vielleicht ist es das. Ich brauche das Schreiben, um meinen Gedanken eine Richtung zu geben.
Manchmal halte ich einfach nur ganz Alltägliches fest. Banalitäten im Auge des Betrachters. Nicht immer ist Raum für große Gefühle. Manchmal betrachte ich einfach nur Gegenstände und beschreibe sie dann oder ich belausche Gespräche, die ich skizziere, oft weiß ich noch gar nicht, ob und wofür ich all diese Mitschriften irgendwann einmal gebrauchen kann. Mein Schreiben ist oft wie der Skizzenblock eines Malers, nur flüchtig skizzierte Momente, offenbar vollkommen bedeutungslos. Ist es das, was die Schriftstellerin in mir ausmacht? Der verzweifelte Wunsch, das Alltägliche festzuhalten, bevor der Augenblick vorüber ist? 
Ich habe ein Regal voller angefangener, halb voller (oder halbleerer?) Notizbücher. In meinen Moleskine-Kalendern könnte man für mindestens zwanzig Jahre mein Leben nachlesen. Wenn ich mich manchmal an Regentagen durch die alten Notizen fresse, finde ich einiges an Glück, aber sehr viel mehr an Unglück und Verzweiflung. Ich bin mir sicher, dass meine Vergangenheit bei weitem nicht so unglücklich war, wie sie sich rückblickend liest. Warum halte ich dann die kleinen Glücksmomente so selten fest? Scheint mir die verzweifelte Suche danach einfach erwähnenswerter? Mein Tagebuchleben der letzten zwanzig Jahre ist geprägt von Trennungen, von Neuanfängen, von Veränderungen. Konstant geblieben ist nur das Schreiben. Es ist - neben meiner Suche nach den Antworten dieser Welt - die einzige Konstante in meinem Leben.
Und letztendlich versuche ich dann, diese Fragen, diese Suche nach dem Sinn von allem, auch in meine Geschichten zu packen, weiterzureichen an meine LeserInnen, damit sie den Faden aufnehmen und die Gedanken weiterspinnen. Denn letztendlich ist doch alles, was wir erschaffen, zuerst (nur) ein Gedanke gewesen. Eine Idee, von der manchmal gar nicht sofort klar war, wozu sie gut sein oder wohin sie einmal führen soll. Und deshalb schreibe ich, damit meine Gedanken mir einen Weg bahnen durch dieses Leben und mir helfen, meinen Platz darin zu finden. Und genau deshalb muss ich die Geschichte von Madeleine erzählen, die ihre ganz eigenen Fäden spinnt und verfolgt und sich dabei des öfteren verheddert und mühsam alles wieder entwirren muss. Dabei ist sie schon froh, wenn ihre Gedanken nicht ständig an dem grauen Haus von gegenüber abprallen. Aber davon erzählt sie euch dann besser irgendwann selbst.



11. August 2017

Das Leben der anderen

"Sie wollen wohl alles haben?" Meine Therapeutin guckte irgendwie kritisch über den Brillenrand, als sie mir diese Frage stellte. Vielleicht habe ich die Kritik auch nur in ihre Frage hinein interpretiert. Vielleicht war sie gar nicht so kritisch gemeint. Auf jeden Fall habe ich sofort schuldbewusst den Kopf eingezogen und leise "irgendwie schon" gemurmelt.
Ja, ich will alles. Und davon so viel wie möglich. Der Trotz macht sich erst später in mir breit, als ich noch einmal über diese Frage nachdenke. Vorausgegangen war ihr ein Gespräch darüber, dass ich mich ständig müde und überfordert fühle. Dass ich rings um mich herum so viele Baustellen sehe, dass ich oft gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und es dann aus lauter Frust gleich ganz lasse. Ich möchte Bücher schreiben. Natürlich. Das hat höchste Priorität. Schließlich ist das mein Beruf, der uns das tägliche Brot und Überleben sichert. Ich gucke bei Kollegen und nehme mir bestimmte Schreibzeiten, bestimmte Anzahlen von täglichen Seiten, Wörtern oder Zeichen vor. Und scheitere regelmäßig an meinen eigenen Ansprüchen. Aber die anderen schaffen das doch auch.
Nur -  ich will ja nicht nur Bücher schreiben, ich will auch Lesungen akquirieren. Und meinen Blog regelmäßig bestücken. Ich will meinen Kindern eine gute (alleinerziehende) Mutter sein, drei von fünf leben schließlich noch bei mir im Haus und brauchen  mich auch noch eine Weile. Das Haus. Da war doch noch was. Ich hätte gerne ein schönes, gemütliches, für Freunde offenes, buntes, verrücktes und vor allem auch aufgeräumtes einigermaßen sauberes Haus. Da gibt es doch die ganzen tollen Ideen in den verschiedenen Blogs, Shabby-Häuser, schwedische Häuser, so vieles kann man selbst machen, angefangen vom selbst abgeschliffenen Dielenboden bis hin zum selbstgefliesten Badezimmer, Möbel vom Sperrmüll können wunderbar aufgearbeitet werden, Zimmer in Pastellfarben designed und Tagesdecken selbst gehäkelt werden. Damit man dann vom ursprünglichen 7-Personen-Haus in den total romantischen Naturgarten mit Selbstversorgerbeeten gucken kann, die ich natürlich auch gerne noch nebenbei unterhalten würde. Denn auch dazu gibt es doch so viele Anregungen in den Tiefen des Netz, Selbstversorgung ist in, Dosenfutter out, ein Naturgarten hat nichts mit unserem brachliegenden Gartengrundstück zu tun, sondern mit selbsterrichteten Totholzhecken, Hochbeeten, Trockenmauern, Kräuterspiralen und Insektenhotels. Hätte ich gerne. Würde ich gerne machen. Klar. Ausserdem würde ich gerne 15 Kilo abnehmen, um mein Vor-5-Schwangerschaften-Gewicht wieder zu erreichen, regelmäßig wieder Sport treiben wäre also nicht schlecht, mein Liebesleben braucht auch dringend frischen Wind. Nein, keinen frischen Partner, aber mehr Zeit für den jetzigen, mehr Romantik, mehr Zweisamkeit, mehr gemeinsame Freizeit. Ach ja - und Urlaub wäre auch nicht schlecht. Für die Seele. Oder ein Yogaseminar. Ohne Yoga scheint ja gar nichts mehr zu gehen heute. Und tägliche Meditation.
Ich habe versucht, meiner Therapeutin mein Dilemma zu schildern. Meine ständige Erschöpfung, das Gefühl, nichts mehr wirklich auf die Reihe zu kriegen. Zu nichts fähig zu sein. Kein vorzeigbares Instagram-Leben zu haben. Nichtmal vorzeigbare selbstgekochte Veggie-Mahlzeiten.  Ich bin übrigens die, die gekauften Kuchen zu den Klassenfesten mitbringt und ihn vorher ein bisschen zerknautscht, damit er aussieht, wie selbstgebacken. Alle anderen Mütter übertrumpfen sich (und mich) regelmäßig mit Torten, die ganze Disneyfilme nachbilden oder farblich ins Konzept der diesjährigen Mottowoche passen.
Ja. Ich will das alles. Haben andere schließlich auch. Wie man täglich auf Instagram und Co. bewundern kann.
"Wieviele Autorinnen kennen Sie persönlich, die täglich 5-10 Seiten schreiben?", fragt meine Therapeutin. 
"Oh, das sind einige!"
"Und wie viele von denen sind alleinerziehende Mütter von 5 Kindern oder sagen wir 3 minderjährigen Kindern?", fragt sie weiter. "Und wie viele von diesen wiederum können von ihren Büchern leben? Wie viele Ihrer Netzbekanntschaften haben neben dem tollen Selbstversorgergarten auch einen Versorgerehepartner, der das nötige Kleingeld für die naturbelassenen Ziegelsteine in mediterraner Optik herbeischafft? Wie viele der Shabby-Chic-Hauseinrichterinnen kennen Sie persönlich? (Keine) Und wie viele dieser persönlichen Bekanntschaften haben Sie mal ganz überraschend zu Hause besucht, wenn die Katze nicht gerade mit viel Überredungskunst auf die farblich passende Wolldecke der mit Kreidefarben selbstgestrichenen Küchenbank drapiert worden war? Wie viele ... "
Ich unterbreche meine Therapeutin. Ich habe es ja verstanden. Der Druck, dem ich mich ausgesetzt sehe, habe ich mir selbst aufgebaut. Indem ich mich permanent mit anderen vergleiche. Indem ich zulasse, dass meine Ziele sich aus Momentaufnahmen anderer zusammensetzen, die nicht mal wirkliche Momentaufnahmen sind, sondern oft mit viel Zeit und Arbeit in Szene gesetzt wurden. Mein Tag hat nur 24 Stunden. Ich will immer noch alles. Aber was dieses "alles" ist, diese Entscheidung kann nur ich treffen. Weil nur ich mein eigenes Leben leben kann. Und nicht noch das von ganz vielen anderen. Und vielleicht werde ich in diesem Leben eben nur 500 Wörter statt 1000 pro Tag schreiben. Und eine Katze streicheln, die nicht farblich zum Vorgarten passt. Was soll's?

8. August 2017

Vom Leben schreiben


und vom Schreiben leben. Um 5:00 klingelt der Wecker. Schnell aufstehen, duschen, anziehen, Katzen füttern, dann einen prall gefüllten Rucksack und eine noch praller gefüllte Tasche aufs Rad schnallen und zum Bahnhof radeln.
Am Bahnhof ist schon Hochbetrieb. Warum sind die alle schon so wach? Ich bin todmüde, hilft aber nix, 150 km weiter warten nachher 25 Kinder darauf, dass ich mit ihnen eine Schreibwerkstatt abhalte und außerdem Ferientagebücher gestalte. Deshalb auch die prall gefüllten Taschen. In weiser Voraussicht sind sie mit Glitzerstickern, Maskingtapes und Buntstiften bis unter den Rand gefüllt. Im Zug ergattere ich mir einen Platz im Bistro. Ich muss ja noch die Morgenseiten schreiben, das habe ich heute ausnahmsweise nicht schon im Bett erledigt. Also Kaffee bestellen, Heft aufschlagen, losschreiben. In der Reihenfolge.
Mir gegenüber sitzt einer mit Stöpseln im Ohr. Er starrt auf sein iPhone. Als eine Frau ihn anspricht und nach einem freien Platz fragt, nimmt er nicht mal die Kopfhörer raus. Schüttelt nur den Kopf, macht sich breit. Ich beschließe, dafür ihm einen Platz anzubieten. In meinem nächsten Roman wäre noch einer frei. Wenn ich zeichnen könnte, würde ich ihn jetzt skizzieren. Kann ich nicht. Also skizziere ich ihn mit Worten. Notiere jede seiner Bewegungen. Es sind nicht viele. Nur ab und zu ein Wischen über die digitalen Welten in seiner Hand. Und eben die Knie. So breitbeinig nach außen gedrückt, dass bitte niemand auch nur auf die Idee kommen könnte, auf der Bank neben ihm sei noch Platz. Wenn er das täglich macht, so dasitzen mit gespreizten Beinen, dann werden seine Anzugshosen bald durchgescheuert sein überm Knie. Der Stoff spannt schon. Kurz guckt er hoch, zu mir rüber, aber ich bin nicht interessant genug. Dann doch lieber das iPhone. Auf der Stirn noch ein paar Haare, ebenfalls breit gefächert. Damit nur keiner denkt, es gäbe zu wenige davon auf seinem Kopf. Ich überlege, woher sein Wunsch kommen könnte, mehr zu scheinen als er ist. Mehr Haarfülle, mehr Körperfülle vorzutäuschen, als tatsächlich da ist. Wer hat ihn so klein gemacht, dass er heute so groß sein muss? Ich frage mich, wie er wohl heißt. Probiere Namen. Ob er verheiratet ist? Ist er. Zumindest trägt er einen Ring. Ob er zu Hause auch so viel Raum braucht? Ich stelle mir vor, wie er die Katze von seinem Fernsehsessel verscheucht. Ist schließlich sein Platz. Vielleicht ist er zu Hause auch ganz klein? Ich kann gar nicht so schnell schreiben wie der ICE fährt und dann ist mein Kaffee auch schon leer, meine Morgenseiten gefüllt und ich muss aussteigen. 
Einen halben Tag später, angefüllt mit Geschichten von Nixen, einsamen Delfinen, verschollenen Raumschiffen (ja, Raumschiffe. Piratenschiffe sind sowas von out!)  und am Strand vergrabenen Schätzen sitze ich wieder im ICE. Wieder im Bistro mit einem Kaffee. Diesmal will ich nicht schreiben. Sondern Pause machen. Ein bisschen lesen vielleicht. Ich krame nach meinem Buch. Aktuell Connie Palmen. I.M. Ich weiß jetzt schon, dass mich das Lesen dieses Buches mit einer unstillbaren Sehnsucht nach Nähe und inniger Vertrautheit zurücklassen wird. Trotzdem freue ich mich drauf. Da kommen zwei junge Frauen ins Bistro, Rucksäcke, mit denen sie die Welt umrunden könnten. Wer weiß, vielleicht haben sie das ja gemacht oder sie sind gerade dabei. Vielleicht ist mein ICE nur eine ihrer Stationen rund um den Globus. Sie setzen sich mir gegenüber, eine holt zwei Becher Kaffee, die andere packt ein Picknick aus, sie lachen, unterhalten sich, unterstreichen jeden Satz mit den Händen, ich verstehe kein Wort, sie reden in einem Kauderwelsch aus Englisch und einer Sprache, die ich nicht kenne. Ich gucke ein bisschen sehnsüchtig auf Conni Palmen und I.M., dann packe ich das Buch wieder ein, hole mein Schreibzeug raus. Wenn mich jemand fragt, woher ich immer meine Romanfiguren nehme, verstehe ich die Frage oft gar nicht.. Das Leben ist doch so voll davon. Voll von allem, was das Schreiben braucht. Figuren, Orte, Gefühle, Stimmungen.  Man muss sich nur hinsetzen und mitschreiben. Vom Leben schreiben. Dann kann man vielleicht auch irgendwann vom Schreiben leben. Und bis dahin gebe ich eben weiter Schreibkurse. Morgen wieder. Gleiche Uhrzeit. Gleicher ICE. Ich bin schon gespannt, wer diesmal gegenüber Platz nimmt.



3. August 2017

Roofer in der Alten Feuerwache

Heute möchte ich euch gerne einladen. 
Zu einer Lesung aus meinem neuen Roman Roofer
Und zu einer  Führung durch die Alte Feuerwache in Münster. 
Wer keine Ahnung hat, wovon ich rede, sollte sich kurz diese Seite anschauen. Die Alte Feuerwache ist der Sitz des Coppenrath Verlags und absolut sehenswert!
Wer also Lust hat, dieses wunderbare Gebäude einmal von innen zu bewundern und wer gleichzeitig vorher eine spannende Lesung aus Roofer genießen möchte, sollte sich einfach nur anmelden und vorbeikommen.

Wann: Am 2. September um 15:00 Uhr 
Wo: Alte Feuerwache Münster
Eintritt: frei

Anmelden unter: info@coppenrath.de



Ich hoffe, die Lesung wird richtig voll! Ganz schnell an den Verlag mailen und anmelden und die Einladung auch an Freunde und Verwandte weiterleiten, ich verspreche euch einen spannenden und unterhaltsamen Nachmittag!