18. September 2017

Schreiben gegen Rechts

Erst war es Sorge, dann Fassungslosigkeit, dann Verzweiflung, inzwischen ist es Wut, mit der ich seit Monaten die Entwicklungen in diesem Land beobachte. 
Und heute Morgen wachte ich auf mit dem Gedanken, dass schon der nächste Montag als  der Tag in die Geschichtsbücher eingehen könnte, an dem Nazis in den Bundestag einziehen. Und dass mich eines Tages meine Kinder fragen könnten: Was hast du damals im Jahr 2017 getan, um das zu verhindern? 
Würde ich dann auch sagen, ich habe nichts davon gewusst? Oder: Was hätte ich denn tun sollen?

Mein Jahrgang hat die Geschichte des Nationalsozialismus in der Schule durchgekaut, bis es uns aus den Ohren heraus kam. Wir, die wir nichts mehr unmittelbar mit dem Dritten Reich, mit dem Krieg, mit den Greueltaten der Nazis zu tun hatten, konnten es in der Schule teilweise nicht mehr hören, wollten nichts mehr davon wissen. Holocaust. Antisemitismus. Verfolgung. Säuberungsaktionen. T4. Vernichtung unwerten Lebens. Krieg. Wir wollten nichts mehr darüber lesen. Und waren uns sicher: Uns wäre das nicht passiert. Niemals. Wir hätten Hitler und alles, was danach kam, verhindert. 
Um uns das Gegenteil zu beweisen, um uns die Gefahr einer Mitläuferschaft dennoch vor Augen zu führen, las sicher jeder von uns in seiner Schullaufbahn mindestens einmal den Roman "Die Welle" oder sah den gleichnamigen Film. Jeder von uns war selbst nach diesem Buch noch davon überzeugt, dass es das in Deutschland nicht mehr geben wird: Menschen, die blind und taub einer Partei hinterher laufen, deren Parteiprogramm Werte wie Meinungsfreiheit , Religionsfreiheit und Menschenrechte mit den Füßen tritt. 

Heute hingegen wagte die Frankfurter Rundschau bereits die Prognose, dass es eine rechtsnationale Partei sein wird, die am nächsten Sonntag als drittstärkste Partei mit in den Bundestag einziehen wird. "Bedauerlicherweise hat die AfD gute Chancen", formuliert Bernhard Honnigfort in seinem Kommentar. 

Ich will das nicht. Ich will nicht, dass in meinem Land eine Partei gute Chancen hat, die alle moralischen Werte, mit denen ich aufgewachsen bin, mit Springerstiefeln und Naziparolen überrennt. Ich will nicht, dass Menschen in den Bundestag einziehen, deren erklärtes Ziel es ist, Frauen wieder zu Gebärmaschinen deutschen Nachwuchses zu degradieren, alleinerziehenden Mütter  das Leben zur Hölle zu machen, Andersgläubigen das Ausüben ihrer Religion zu verbieten, Schwulen und Lesben zu Menschen zweiten Grades zu degradieren und Grenzen wieder mit Stacheldraht und Mauern zu versehen. Wer das alles immer noch nicht glaubt oder nicht wahrhaben will, darf gerne das Programm der AfD zur Wahl lesen.

Ich will das nicht.

Und ich will nicht, dass diese Partei nächsten Sonntag eine Chance hat, weil Gleichgültigkeit sich in meinem Land breitgemacht hat wie ein klebriger Sumpf. Weil immer mehr Menschen sich einreden lassen, sie könnten ohnehin nichts bewegen, ihre Stimme, ihre Meinung werde ohnehin nicht gehört, und die sich deshalb lieber irgendwo in virtuellen Welten vergraben als wählen zu gehen, um ihre reale Welt zu retten.
Diesen Menschen möchte ich zurufen: In unserer realen Welt gibt es kein Reset. Es gibt kein "Zurück-auf-Start", es gibt kein Extra-Leben und selbst eine Google-Brille wird dir nicht helfen, die Realität zu beschönigen, sollte sie dir eines Tages nicht mehr gefallen.

Wer nicht wählen geht, ist nicht etwa neutral, wie so viele Nichtwähler meinen. Die Höhe der Wahlbeteiligung hat einen direkten Einfluss auf den Stimmenanteil einer Partei. Auch wer nicht rechts wählt, stärkt als Nichtwähler aktiv rechtsnationale Parteien.

Deshalb, Leute, bewegt euch und bewegt etwas. Schreibt an gegen Rechts, gegen rechte Gewalt, gegen rechtes Gedankengut, gegen rechte Parteien. Und geht wählen, um genau diese zu verhindern.

Als Autorin verwahre ich mich auch gegen die Zulassung rechtsgesinnter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Verlag, dessen Bücher u.a. zu Hass und Hetze aufrufen, kann sich nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verstecken. So auch die Präsidentin des PEN Deutschland, Regula Venske. 

Eigentlich war ich übrigens nur auf der Suche nach einem Button. Oder einer Idee für ein passendes Foto zu einem Blogbeitrag gegen rechtes Gedankengut. Dabei bin ich über diese Blogparade gestolpert, die schon im vergangenen Jahr gestartet wurde und die aus irgendwelchen Gründen gänzlich an mir vorbei gegangen ist.

Schreiben gegen Rechts - eine Initiative, die bereits im Jahr 2016 von Anna Schmidt ins Leben gerufen wurde und von rund 90 Blogs aufgegriffen und fortgesetzt worden ist. 
Und heute, dem letzten Montag vor der Wahl, scheint es mir dringender denn je, diese Blogparade wieder neu zu beleben. Und ich hoffe, ja, wünsche mir, dass sich viele Kollegen und Kolleginnen, BloggerInnen, SchriftstellerInnen, AutorInnen, SchreiberInnen aus allen Ecken der Branche unter dem Hashtag #schreibengegenrechts daran beteiligen und den Link zu ihrem Blog dann ebenfalls bei Anna Schmidt posten. 
Wir alle zusammen haben die Aufgabe, auf die Gefahr hinzuweisen, die sich da zusammenbraut. Wir alle haben die Aufgabe, zu verhindern, dass sich das wiederholt, von dem Erich Kästner einst sagte:

"Man darf nicht so lange warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man muss den rollenden Schneeball zertreten; die Lawine hält keiner mehr auf."






4 Kommentare:

Anna Schmidt hat gesagt…

Liebe Jutta, vielleicht ist das der Anstoß, den ich brauche um die Blogparade weiter zu führen. Ich kann jedes deiner Worte unterstreichen und schaue mit großer Sorge auf den nächsten Sonntag! Danke für deinen wunderbaren und bedenkenswerten Beitrag! Herzliche Grüße von Anna

Jutta Wilke hat gesagt…

Liebe Anna,
ich danke dir für das Anstoßen dieser Blogparade im vergangenen Jahr. Tatsächlich bin ich nur durch Zufall darauf gestoßen und habe deshalb auch bei Twitter und Istagram mal den Hashtag #schreibengegenrechts gepostet. Einfach in der Hoffnung, dass doch noch sehr viele sich zu Wort melden, den Mund aufmachen, ihre Meinung, ihre Besorgnis, ihre Wut kundtun.
Denn das müssen wir tun, immer und immer wieder. Der Gedanke "das bringt ja eh nix" ist der gefährlichste Gedanke überhaupt.

Widerstandsgrüße

Jutta

Roswitha hat gesagt…

Ich wünsche euch sehr dass dieser Aufruf wie eine Lawine durchs Land rollt! Ich gehöre zur 1. Gerneration nach 1945, ich kann jedes Deiner Worte unterschreiben und es treibt mich um.
Noch will ich es nicht glauben.

Jutta Wilke hat gesagt…

Liebe Roswitha,
ich konnte es auch lange nicht glauben. Ich befürchte, wir alle haben viel zu lange die Augen verschlossen vor dem, was da passiert.
Aber wie sagt man so schön? Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.

Liebe Grüße

Jutta