24. November 2017

Totensonntag

Am kommenden Sonntag ist Totensonntag. Ein Tag, an dem man der Toten gedenken soll, in diesem Jahr etwas überrollt von den vorgezogenen Weihnachtsmärkten, was bei vielen Menschen zu Empörung führt. 
Vor einigen Jahren habe ich diese Empörung einmal persönlich erfahren. Es war winterlich, es war rund um die Uhr dunkel, laut Kalender einige Tage vor dem Totensonntag. Ich hatte ein Haus voll kleiner Kinder und wollte ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Also habe ich mit ihnen zusammen den kleinen Baum vor dem Haus mit einer Lichterkette geschmückt und zusätzlich haben wir selbstgebastelte Schneeflockensterne in den Baum gehängt.
Am nächsten Tag hatten wir einen anonymen Brief im Kasten. Eine Nachbarin beschwerte sich bitterlich, dass wir die Lichtchen schon vor dem Totensonntag draußen angebracht hätten. Sie schrieb etwas von Würde und Unachtsamkeit und Weihnachtsgetöse und riet uns, die Ostereier gleich auch aufzuhängen.
Dieser Brief hat mich damals sehr betroffen gemacht. Denn für mich hat die Vorweihnachtszeit überhaupt nichts mit Getöse zu tun, dem Rummel kann ich mich ganz gut entziehen. Für mich bedeutet diese Zeit Besinnlichkeit, ein bisschen runterfahren, und ja, Lichterketten, Weihnachtsschmuck,  Plätzchenduft, das gehört schon auch dazu. Ich liebe Weihnachtsmärkte und Weihnachtslieder, Weihnachtsschmuck verteile ich am liebsten im ganzen Haus, ich mag die heimelige Stimmung, die mit den Kerzen einzieht, mag das Zusammenrücken im Haus, wenn es draußen fast gar nicht mehr hell wird. Und wenn ich nach einem langen Tag im Dunkeln nach Hause komme, dann freue ich mich auch über ein paar Lichtchen im Vorgarten, die mich begrüßen. Ich bin gerne bereit über den ökologischen Unsinn solcher Lichter zu reden, würde mein Haus auch niemals von oben bis unten mit strombetriebenen Lampen zuhängen, im Gegenteil, in den letzten Jahren sind wir zu echten Kerzen in großen Windlichtern übergegangen.


Was mich an diesem Brief und auch an der Entrüstung allerorts so betroffen macht, ist nicht die Kritik am Weihnachtsschmuck, sondern die Kritik am Zeitpunkt. Ich kann mit von oben verordneter Trauer so wenig anfangen. Es gibt auch in meinem Leben einige Menschen, deren Tod mir sehr zu Herzen gegangen ist, die ich vermisse und an die ich oft denke. Aber ich brauche dazu kein Datum, das mir vorschreibt, dass ich an diesem Tag zu trauern hätte, an diesem Tag auf den Friedhof gehen muss, damit auch die anderen sehen, dass ich traurig bin. Meine Trauer hat ihre Zeit, immer mal wieder, die fragt nicht nach Monaten und Wochentagen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es die Menschen, die in meinem Herzen weiterleben, auch nicht tun.
Manchmal stelle ich mir vor, dass sie da oben alle zusammensitzen, die Tage runterzählen bis zum kommenden Sonntag und dann Wetten abschließen, wer wohl die meisten Besucher am Grab verzeichnen kann.
Versteht mich nicht falsch, ich lasse denen, die solche Gedenktage brauchen, gerne ihren Totensonntag. So wie ich anderen auch ihren Muttertag lasse, obwohl der für mich in die gleiche Kategorie fällt. Liebe und Zuneigung lassen sich nicht diktieren. Auch nicht, wenn eine Kalender-App sich am Sonntag öffnet und mahnend an die Trauer erinnert.

Wir sollten besser von den Toten und Sterbenden lernen. Kürzlich las ich einen kleinen Bericht in der Zeitung, wonach eine Palliativ-Pflegerin in Sydney zusammengetragen hat, was Sterbende ihr anvertraut haben auf die Frage, was sie am meisten bedauern.

Am häufigsten wurden diese fünf Punkte genannt:

  • Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, wirklich mein eigenes Leben zu leben.
  • Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.
  • Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, anderen meine Gefühle auszudrücken.
  • Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrechterhalten.
  • Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.


Ich wünsche Euch, dass Ihr es schafft, diese fünf Punkte umzusetzen. Ganz egal, welcher Tag gerade im Kalender steht.



19. November 2017

Lesen. Schreiben. Und der ganze Rest.

Der November ist Lesemonat. Ihr seht es an meiner Pinnwand auf der rechten Blog-Seite. Im November gibt es kaum einen Tag ohne ein oder zwei Lesungen. Am vergangenen Freitag war ich sogar für drei Lesungen in einer Grundschule unterwegs.
Da die Lesungen mich auch kreuz und quer durch Deutschland führen und nächste Woche sogar in die Schweiz, bleibt dazwischen wenig Zeit fürs Schreiben, jedenfalls zu wenig für alles, was ich eigentlich schreiben möchte.
Trotzdem bin ich am NaNoWriMo noch tapfer dran. Auch wenn der kleine NaNo-Kalender auf der linken Seite gruselig viele rote Felder hat, läuft es besser, als man auf den ersten Blick denken könnte.
Da ich so viel unterwegs bin, schreibe ich derzeit fast ausschließlich mit der Hand in Notizhefte. Da bin ich aber dann am Abend zu faul, die Wörter zu zählen und beim NaNo einzutragen. So kommen wesentlich mehr rote "das Ziel nicht erreicht" - Felder zustande, als es eigentlich sein dürften. Am Wochenende komme ich dann jeweils erst dazu, meine in der Woche entstandenen Texte abzutippen und vernünftig einzutragen. Und schwups, schon bin ich am vorgegebenen NaNo-Durchschnitt wieder so einigermaßen dran. Worauf ich in diesem stressigen Monat ehrlich stolz bin. Denn am Schluss zählt nur, ob man das Ziel erreicht hat. Wie auch immer.

Und auf noch etwas bin ich stolz: Ich habe einen neuen Job. Okay, einen Nebenjob. Aber einen so wunderbaren, dass ich mein Glück noch gar nicht fassen kann. Und mich ehrlich darauf freue, in diesen Job nach dem Lese-Marathon so richtig einzusteigen.


Ihr findet mich in Zukunft in regelmäßigen Abständen nicht nur am Schreibtisch, sondern auch in meinem Lieblingsbuchladen. Klar, getroffen habt ihr mich da auch früher schon öfter. Als Leserin. Als Bücher-Junkie. Aber seit ein paar Tagen könnt ihr mich dort hin und wieder auch als Buchhändlerin finden! Den ganzen Tag Bücher sichten, Bücher einräumen und vor allem Bücher empfehlen und verkaufen. Was für ein Traum! Und das Beste: Im Buchladen am Freiheitsplatz darf ich neben den beiden wunderbaren Bloggerinnen Buchbüchse und Pinkfisch arbeiten. Besser geht es kaum, oder? Ich werde auf jeden Fall berichten.



14. November 2017

Fundsache 7

Ich weiß nicht, wer Manfred Schneider war, das kleine Heft stammt aus meiner Reclam-Sammlung, die ich zum 150. Jubiläum des Verlags mal wieder rausgekramt habe. Offensichtlich tat sich Manfred schwer mit Schiller.


3. November 2017

Es ist wieder soweit

Pünktlich am 1. November 2017 hat er wieder begonnen - der NaNoWriMo.
Oder ausgeschrieben: der National Novel Writing Month.

50.000 Wörter in 30 Tagen. Das ist das Ziel. Wie tausende andere Schreibwütige mache ich seit vielen Jahren mit, oft, ohne das Ziel wirklich zu erreichen und mehr nach dem Motto: Dabei sein ist alles.
In diesem Jahr will ich mehr. In diesem Jahr will ich die Ziellinie überqueren. Ich habe einige Projekte vor mir, die genau das brauchen: Einen freien Kopf und schreiben, ohne darüber nachzudenken.
Ähnlich wie bei meinen Morgenseiten hilft der NaNoWriMo nämlich genau dabei. Wer das festgelegte durchschnittliche Schreibziel täglich erreichen will, hat keine Zeit mehr für langes Grübeln, für gründliches Plotten und Recherchieren. Wer dieses Ziel erreichen will, muss sich an die Tastatur setzen und drauflos schreiben. Vielleicht ist genau das das Geheimnis. Vielleicht ist es genau das, was diesen Schreibmonat für mich zu so einem besonderen macht.

Ich bin im normalen Leben ein Kopfschreiber. Sprich, ich plotte sehr gründlich und noch bevor ich den ersten "richtigen" Satz im Manuskript schreibe, steht meine komplette Geschichte. Bisher bin ich damit immer gut gefahren, aber im NaNoWriMo ist dafür keine Zeit. Und schon erst recht nicht, wenn genau in diesem Monat auch noch fast täglich Lesungen oder Schreibworkshops anstehen. Also versuche ich, meinen inneren Lektor einmal abzuschalten und ungefiltert aufzuschreiben, was da in mir nach außen drängt. Ich achte dabei nicht allzu sehr darauf, wie viele Wörter ich jeden Tag im Schnitt schreiben müsste und ob ich diesen Schnitt auch einigermaßen einhalte.
Es wird wegen der vielen anderen Termine Tage geben, an denen ich gar nicht schreiben kann und dann  zwischendurch hoffentlich auch immer mal wieder Tage, an denen ich nichts anderes tun werde. Am Ende soll eine halbwegs fertige Geschichte vor mir liegen.



Ihr könnt mein Schreiben anders als sonst online verfolgen. Nämlich da oben links neben diesem Posting. Dort habe ich einen kleinen Ticker eingebunden, der meine NaNoWriMo-Fortschritte penibel registriert und gleichzeitig kommentiert. In Farbe. Tage, an denen ich die erforderliche Zahl an Wörtern erreicht habe, markiert dieser Ticker grün, Tage, an denen ich so knapp unterm Schnitt liege, gelb, und Tage, an denen ich nichts bzw. viel zu wenig geschrieben habe, werden im Ticker rot angezeigt. Vermutlich werde ich sehr viele rote Tage haben. Was zählt, ist das Ziel.
Und das Wissen, dass ich nicht alleine bin. Überall da draußen sitzen aktuell Menschen an ihre Tastaturen und schreiben um die Wette. Mit einigen von ihnen bin ich im Kontakt. Wir spornen uns gegenseitig an, machen uns Mut und trösten auch mal, wenn es einen Tag so überhaupt nicht klappen wollte. Zu wissen, dass man nicht alleine am Schreibtisch sitzt, ist vielleicht der zweite Motivator beim NaNoWriMo. Denn das Geschäft des Schriftstellers ist ein einsames. Nur eben nicht im November. Da tun mir eher all die leid, die sich nicht aufraffen konnten oder aus anderen Gründen daran gehindert waren, sich auf die Rennstrecke um die 50.000 Wörter zu begeben.

Wer von euch ist dabei? Mich findet ihr auf der NaNoWriMo-Webseite unter "Holundermond".
Wenn ihr mir im Kommentar eure Usernamen verratet, dann füge ich euch meiner "Buddy-Liste" hinzu. Gemeinsam schreibt es sich schließlich noch besser.


2. November 2017

Roofer ist Jugendbuch des Monats Oktober

Diese Nachricht erreichte mich heute aus dem Verlag:

Im Oktober 2017 hat die Jugendbuch Gemeinschaft JuBuCrew Göttingen meinen Roman "Roofer" zum Buch des Monats gewählt.
Die JuBu-Crew der Arbeitsgemeinschaft Jugendbuch Göttingen bietet Kindern und Jugendlichen aus Göttingen und Umgebung die Möglichkeit, neu erschienene Bücher zum Lesen auszuleihen, beim wöchentlichen Treffen mit anderen Interessierten über die Bücher zu diskutieren und diese zu bewerten.
Die JuBu-Crew vergibt als unabhängige, selbstorganisierte Gruppe Jugendlicher (unter 18) die Auszeichnung "Buch des Monats" jeweils an ein besonders lesenswertes Buch.

Die JuBu-Crew ist übrigens auch eine der sechs Jugendjurys des Deutschen Literaturpreises.

Maja Duchatsch (15) begründete die Wahl u.a. so:

"... Die Autorin erzählt die Geschichte aus der Sicht von Alice mit einem flüssigen, spannenden und fesselnden Schreibstil. Sie hält sich nicht mit langatmigen Beschreibungen auf, sondern formuliert präzise und knapp das Wesentliche, sodass man gar nicht aufhören kann zu lesen.Auch das Cover ist sehr gut gelungen, da schon mit einem Blick die Thematik und die Gefahr, die damit zusammenhängt deutlich wird.Insgesamt kann man einfach nur sagen, dass das Buch auf jeden Fall empfehlenswert ist, da es in einem rasanten Tempo eine unglaublich spannende und realistische Geschichte erzählt, in der man sich wunderbar in die Personen hineinversetzen kann.
Zudem werden auch Themen wie das Risiko der Freiheit und Opfer, die man anderen zuliebe erbringt, aber auch Vorurteile und Rassismus behandelt.Von mir bekommt das Buch daher eine durchgehend positive Bewertung und eine dringende Leseempfehlung für alle Jugendlichen."


Ich freu mich! Totalst. Mehr kann ich dazu gerade gar nicht schreiben.





23. Oktober 2017

Interview mit Janett Cernohuby auf der Frankfurter Buchmesse

Es ist Herbst, es war Buchmesse und es ist Lesezeit.
Entsprechend viel bin ich unterwegs, entsprechend leise ist es deshalb in meinem Blog geworden. Aber es gibt mich noch.


Live hat das Janett Cernohuby von dem tollen Blog "Janetts Meinung" erfahren, die auf der Buchmesse Frankfurt einen Interviewtermin mit mir vereinbart hatte. Darüber habe ich mich ganz besonders gefreut, denn Janett und ich kennen uns virtuell schon seit des Erscheinens meines allerersten Romans Holundermond.
Schon damals hat Janett eine wunderbare Rezension geschrieben, was nahe lag, da sie in der Stadt lebt, in der Holundermond spielt: im schönen Wien.
Wir hatten uns allerdings noch nie persönlich gesehen, um so schöner war es jetzt, ihr auf der Buchmesse dieses Interview zu meinem aktuellen Roman Roofer zu geben.

Ich düse weiter - die nächsten Termine rufen, ihr könnt das Interview, das mir wirklich riesigen Spaß gemacht hat, hier nachlesen: http://www.janetts-meinung.de/interviews/jutta-wilke-im-interview


10. Oktober 2017

Treffen auf der Buchmesse Frankfurt

Wer mich gerne persönlich treffen möchte, auf einen Plausch oder für ein Autogramm, der ist herzlich eingeladen zu meiner Signierstunde am Messe-Samstag am Stand des Coppenrath-Verlags.
Ich freu mich auf euch!




26. September 2017

Offener Brief an die AfD

Sehr geehrte AfD,

wir sind die 87 Prozent, die euch nicht gewählt haben.

Wir sind links der Mitte, rechts der Mitte und genau auf der Mitte. Wir sind Menschen jedes Geschlechts, jedes Alters, jeder Herkunft, jeder Religion, jeder Hautfarbe, jeder sexuellen Orientierung, jeder politischen Richtung. Wir sind die, die unser Land zu dem machen, was es ist.

Und wir stehen auf gegen euren Rassismus. 

Wir stehen für ein weltoffenes, soziales, liberales, vielfältiges Deutschland, in dem kein Platz ist für Fremdenfeindlichkeit. Wo ihr Mauern ziehen wollt, bauen wir Brücken. Wo ihr Hass verbreiten wollt, reagieren wir mit Zusammenhalt.

Das hier ist unser aller Land und ihr “holt es euch nicht zurück".




Zu dem Zeitpunkt, da ich diesen offenen Brief in meinem Blog poste, haben ihn bereits rund 350.000 Menschen unterschrieben. Und es werden von Sekunde zu Sekunde mehr.
Wer ebenfalls unterzeichnen möchte, kann das HIER tun. Lasst uns gemeinsam aufstehen gegen rechte Parolen, rechte Hetze, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Lasst uns aufmerksam bleiben und wach und füreinander sorgen.



18. September 2017

Schreiben gegen Rechts

Erst war es Sorge, dann Fassungslosigkeit, dann Verzweiflung, inzwischen ist es Wut, mit der ich seit Monaten die Entwicklungen in diesem Land beobachte. 
Und heute Morgen wachte ich auf mit dem Gedanken, dass schon der nächste Montag als  der Tag in die Geschichtsbücher eingehen könnte, an dem Nazis in den Bundestag einziehen. Und dass mich eines Tages meine Kinder fragen könnten: Was hast du damals im Jahr 2017 getan, um das zu verhindern? 
Würde ich dann auch sagen, ich habe nichts davon gewusst? Oder: Was hätte ich denn tun sollen?

Mein Jahrgang hat die Geschichte des Nationalsozialismus in der Schule durchgekaut, bis es uns aus den Ohren heraus kam. Wir, die wir nichts mehr unmittelbar mit dem Dritten Reich, mit dem Krieg, mit den Greueltaten der Nazis zu tun hatten, konnten es in der Schule teilweise nicht mehr hören, wollten nichts mehr davon wissen. Holocaust. Antisemitismus. Verfolgung. Säuberungsaktionen. T4. Vernichtung unwerten Lebens. Krieg. Wir wollten nichts mehr darüber lesen. Und waren uns sicher: Uns wäre das nicht passiert. Niemals. Wir hätten Hitler und alles, was danach kam, verhindert. 
Um uns das Gegenteil zu beweisen, um uns die Gefahr einer Mitläuferschaft dennoch vor Augen zu führen, las sicher jeder von uns in seiner Schullaufbahn mindestens einmal den Roman "Die Welle" oder sah den gleichnamigen Film. Jeder von uns war selbst nach diesem Buch noch davon überzeugt, dass es das in Deutschland nicht mehr geben wird: Menschen, die blind und taub einer Partei hinterher laufen, deren Parteiprogramm Werte wie Meinungsfreiheit , Religionsfreiheit und Menschenrechte mit den Füßen tritt. 

Heute hingegen wagte die Frankfurter Rundschau bereits die Prognose, dass es eine rechtsnationale Partei sein wird, die am nächsten Sonntag als drittstärkste Partei mit in den Bundestag einziehen wird. "Bedauerlicherweise hat die AfD gute Chancen", formuliert Bernhard Honnigfort in seinem Kommentar. 

Ich will das nicht. Ich will nicht, dass in meinem Land eine Partei gute Chancen hat, die alle moralischen Werte, mit denen ich aufgewachsen bin, mit Springerstiefeln und Naziparolen überrennt. Ich will nicht, dass Menschen in den Bundestag einziehen, deren erklärtes Ziel es ist, Frauen wieder zu Gebärmaschinen deutschen Nachwuchses zu degradieren, alleinerziehenden Mütter  das Leben zur Hölle zu machen, Andersgläubigen das Ausüben ihrer Religion zu verbieten, Schwulen und Lesben zu Menschen zweiten Grades zu degradieren und Grenzen wieder mit Stacheldraht und Mauern zu versehen. Wer das alles immer noch nicht glaubt oder nicht wahrhaben will, darf gerne das Programm der AfD zur Wahl lesen.

Ich will das nicht.

Und ich will nicht, dass diese Partei nächsten Sonntag eine Chance hat, weil Gleichgültigkeit sich in meinem Land breitgemacht hat wie ein klebriger Sumpf. Weil immer mehr Menschen sich einreden lassen, sie könnten ohnehin nichts bewegen, ihre Stimme, ihre Meinung werde ohnehin nicht gehört, und die sich deshalb lieber irgendwo in virtuellen Welten vergraben als wählen zu gehen, um ihre reale Welt zu retten.
Diesen Menschen möchte ich zurufen: In unserer realen Welt gibt es kein Reset. Es gibt kein "Zurück-auf-Start", es gibt kein Extra-Leben und selbst eine Google-Brille wird dir nicht helfen, die Realität zu beschönigen, sollte sie dir eines Tages nicht mehr gefallen.

Wer nicht wählen geht, ist nicht etwa neutral, wie so viele Nichtwähler meinen. Die Höhe der Wahlbeteiligung hat einen direkten Einfluss auf den Stimmenanteil einer Partei. Auch wer nicht rechts wählt, stärkt als Nichtwähler aktiv rechtsnationale Parteien.

Deshalb, Leute, bewegt euch und bewegt etwas. Schreibt an gegen Rechts, gegen rechte Gewalt, gegen rechtes Gedankengut, gegen rechte Parteien. Und geht wählen, um genau diese zu verhindern.

Als Autorin verwahre ich mich auch gegen die Zulassung rechtsgesinnter Verlage auf der Frankfurter Buchmesse. Ein Verlag, dessen Bücher u.a. zu Hass und Hetze aufrufen, kann sich nicht unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verstecken. So auch die Präsidentin des PEN Deutschland, Regula Venske. 

Eigentlich war ich übrigens nur auf der Suche nach einem Button. Oder einer Idee für ein passendes Foto zu einem Blogbeitrag gegen rechtes Gedankengut. Dabei bin ich über diese Blogparade gestolpert, die schon im vergangenen Jahr gestartet wurde und die aus irgendwelchen Gründen gänzlich an mir vorbei gegangen ist.

Schreiben gegen Rechts - eine Initiative, die bereits im Jahr 2016 von Anna Schmidt ins Leben gerufen wurde und von rund 90 Blogs aufgegriffen und fortgesetzt worden ist. 
Und heute, dem letzten Montag vor der Wahl, scheint es mir dringender denn je, diese Blogparade wieder neu zu beleben. Und ich hoffe, ja, wünsche mir, dass sich viele Kollegen und Kolleginnen, BloggerInnen, SchriftstellerInnen, AutorInnen, SchreiberInnen aus allen Ecken der Branche unter dem Hashtag #schreibengegenrechts daran beteiligen und den Link zu ihrem Blog dann ebenfalls bei Anna Schmidt posten. 
Wir alle zusammen haben die Aufgabe, auf die Gefahr hinzuweisen, die sich da zusammenbraut. Wir alle haben die Aufgabe, zu verhindern, dass sich das wiederholt, von dem Erich Kästner einst sagte:

"Man darf nicht so lange warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man muss den rollenden Schneeball zertreten; die Lawine hält keiner mehr auf."






14. September 2017

Time is allways now

Im Moment bin ich ein bisschen untergetaucht, weil ich mitten im Manuskript stecke, das bald seinen Weg in den Verlag finden soll.
Damit mein Blog in dieser Zeit nicht völlig verwaist, hier noch schnell ein paar Fotos von meiner Lesung im Coppenrath Verlag.






In der Alten Feuerwache in Münster war es wie immer einfach nur schön! Man beachte das Getränkeangebot neben meinem obligatorischen Glas Wasser ☺ 
Mitgebracht habe ich euch außerdem das Foto eines alten Uhrwerks, das mich schon beim letzten Besuch im Verlag beeindruckt hat. Das Uhrwerk stammt aus einer ehemaligen Kirchturmuhr. Es ist voll funktionsfähig und tickt im Arbeitszimmer des Verlagsleiters mahnend vor sich hin. Damit die Mahnung auch ankommt, hat Wolfgang Hölker oben drauf einen Totenschädel installiert, der sich rhythmisch zur blauen Leuchtschrift mitdreht.

Time is allways now!







4. September 2017

Begegnung der Kulturen

Unter diesem spannenden Motto durfte ich letzte Woche eine eintägige Schreibwerkstatt für die Schülerinnen und Schüler einer siebten Klasse in den Räumen der Romanfabrik Frankfurt durchführen.

Rund 30 Kinder, die meisten davon mit Migrationshintergrund, wagten sich mutig zusammen mit mir an das Abenteuer Schreiben.

Ich mache es kurz: Wir hatten einen Riesenspaß. Wir haben geschrieben bis die Köpfe rauchten, aber auch geblödelt, gelogen, dass sich die Balken bogen, wir haben Wörter-Lotto gespielt und Glücksgeschichten erfunden, sind der Liebe auf der Spur gewesen und haben sogar das Vortragen unserer Geschichten auf einer kleinen Bühne geübt.



Die kleine Liebesgeschichte zwischen einer Pfandflasche und einer Socke ist in einer Gruppenarbeit entstanden und ich wünsche euch einfach viel Spaß damit!

Die Plastikflasche und die Socke
Eines Tages fand ein Kind eine Plastikflasche und nahm sie mit. Als die Plastikflasche sich in dem neuen Zuhause umsah, entdeckte sie eine Socke. Eine wunderschöne Socke. Sofort verliebte sich die Flasche in die Socke. „Ich kann ohne die Socke nicht mehr leben“, dachte die Plastikflasche.Immer wieder versuchte Herr Pfandflasche, die Socke einzuladen, um ihr endlich zu sagen, dass er sie über alles liebte, doch dann war die Socke plötzlich spurlos verschwunden. Das Herz von Herrn Pfandflasche war von diesem Tag an gebrochen.
Das Kind kam zurück und schnappte sich die Plastikflasche, um mit ihr Bottleflips zu machen. Da kippte Herr Pfandflasche um und rollte unter das Bett. Dort landete er genau auf Frau Socke. Er roch an ihr, kuschelte mit ihr und gestand ihr endlich seine Liebe. Und so lebten sie glücklich für immer miteinander. Sie wurden nie gefunden. 
Stefan, 12 Jahre, Aulon, 12 Jahre, Markus, 12 Jahre, Jonas, 12 Jahre




14. August 2017

Von den Fäden, die das Leben spinnt

Ich schreibe jeden Tag. Aber nicht, weil ich glaube, dass ich der Welt so viel zu sagen hätte, was sie nicht auch ohne mich schon weiß. Ich glaube, ich schreibe eher, um herauszufinden, was diese Welt mir sagen will. Ich schreibe dauernd, aber nicht dauernd für andere. Schreiben ist für mich mehr das fortgeführte Denken. Ich will niemanden erleuchten, glaube nicht, dass ich klüger, besser, weiser bin als andere. Und ich weiß, dass diese Welt sich auch weiterdreht, wenn ich nicht mehr schreibe.
Aber ich würde vermutlich irgendwann innerlich vollkommen verknoten, wenn meine Gedanken nicht aus meinem Kopf durch meinen Arm in meine Hand und von dort durch den Stift aufs Papier fließen dürften. Zeile für Zeile, immer von links nach rechts und von oben nach unten in einer festgelegten beständigen Richtung. Vielleicht ist es das. Ich brauche das Schreiben, um meinen Gedanken eine Richtung zu geben.
Manchmal halte ich einfach nur ganz Alltägliches fest. Banalitäten im Auge des Betrachters. Nicht immer ist Raum für große Gefühle. Manchmal betrachte ich einfach nur Gegenstände und beschreibe sie dann oder ich belausche Gespräche, die ich skizziere, oft weiß ich noch gar nicht, ob und wofür ich all diese Mitschriften irgendwann einmal gebrauchen kann. Mein Schreiben ist oft wie der Skizzenblock eines Malers, nur flüchtig skizzierte Momente, offenbar vollkommen bedeutungslos. Ist es das, was die Schriftstellerin in mir ausmacht? Der verzweifelte Wunsch, das Alltägliche festzuhalten, bevor der Augenblick vorüber ist? 
Ich habe ein Regal voller angefangener, halb voller (oder halbleerer?) Notizbücher. In meinen Moleskine-Kalendern könnte man für mindestens zwanzig Jahre mein Leben nachlesen. Wenn ich mich manchmal an Regentagen durch die alten Notizen fresse, finde ich einiges an Glück, aber sehr viel mehr an Unglück und Verzweiflung. Ich bin mir sicher, dass meine Vergangenheit bei weitem nicht so unglücklich war, wie sie sich rückblickend liest. Warum halte ich dann die kleinen Glücksmomente so selten fest? Scheint mir die verzweifelte Suche danach einfach erwähnenswerter? Mein Tagebuchleben der letzten zwanzig Jahre ist geprägt von Trennungen, von Neuanfängen, von Veränderungen. Konstant geblieben ist nur das Schreiben. Es ist - neben meiner Suche nach den Antworten dieser Welt - die einzige Konstante in meinem Leben.
Und letztendlich versuche ich dann, diese Fragen, diese Suche nach dem Sinn von allem, auch in meine Geschichten zu packen, weiterzureichen an meine LeserInnen, damit sie den Faden aufnehmen und die Gedanken weiterspinnen. Denn letztendlich ist doch alles, was wir erschaffen, zuerst (nur) ein Gedanke gewesen. Eine Idee, von der manchmal gar nicht sofort klar war, wozu sie gut sein oder wohin sie einmal führen soll. Und deshalb schreibe ich, damit meine Gedanken mir einen Weg bahnen durch dieses Leben und mir helfen, meinen Platz darin zu finden. Und genau deshalb muss ich die Geschichte von Madeleine erzählen, die ihre ganz eigenen Fäden spinnt und verfolgt und sich dabei des öfteren verheddert und mühsam alles wieder entwirren muss. Dabei ist sie schon froh, wenn ihre Gedanken nicht ständig an dem grauen Haus von gegenüber abprallen. Aber davon erzählt sie euch dann besser irgendwann selbst.



11. August 2017

Das Leben der anderen

"Sie wollen wohl alles haben?" Meine Therapeutin guckte irgendwie kritisch über den Brillenrand, als sie mir diese Frage stellte. Vielleicht habe ich die Kritik auch nur in ihre Frage hinein interpretiert. Vielleicht war sie gar nicht so kritisch gemeint. Auf jeden Fall habe ich sofort schuldbewusst den Kopf eingezogen und leise "irgendwie schon" gemurmelt.
Ja, ich will alles. Und davon so viel wie möglich. Der Trotz macht sich erst später in mir breit, als ich noch einmal über diese Frage nachdenke. Vorausgegangen war ihr ein Gespräch darüber, dass ich mich ständig müde und überfordert fühle. Dass ich rings um mich herum so viele Baustellen sehe, dass ich oft gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und es dann aus lauter Frust gleich ganz lasse. Ich möchte Bücher schreiben. Natürlich. Das hat höchste Priorität. Schließlich ist das mein Beruf, der uns das tägliche Brot und Überleben sichert. Ich gucke bei Kollegen und nehme mir bestimmte Schreibzeiten, bestimmte Anzahlen von täglichen Seiten, Wörtern oder Zeichen vor. Und scheitere regelmäßig an meinen eigenen Ansprüchen. Aber die anderen schaffen das doch auch.
Nur -  ich will ja nicht nur Bücher schreiben, ich will auch Lesungen akquirieren. Und meinen Blog regelmäßig bestücken. Ich will meinen Kindern eine gute (alleinerziehende) Mutter sein, drei von fünf leben schließlich noch bei mir im Haus und brauchen  mich auch noch eine Weile. Das Haus. Da war doch noch was. Ich hätte gerne ein schönes, gemütliches, für Freunde offenes, buntes, verrücktes und vor allem auch aufgeräumtes einigermaßen sauberes Haus. Da gibt es doch die ganzen tollen Ideen in den verschiedenen Blogs, Shabby-Häuser, schwedische Häuser, so vieles kann man selbst machen, angefangen vom selbst abgeschliffenen Dielenboden bis hin zum selbstgefliesten Badezimmer, Möbel vom Sperrmüll können wunderbar aufgearbeitet werden, Zimmer in Pastellfarben designed und Tagesdecken selbst gehäkelt werden. Damit man dann vom ursprünglichen 7-Personen-Haus in den total romantischen Naturgarten mit Selbstversorgerbeeten gucken kann, die ich natürlich auch gerne noch nebenbei unterhalten würde. Denn auch dazu gibt es doch so viele Anregungen in den Tiefen des Netz, Selbstversorgung ist in, Dosenfutter out, ein Naturgarten hat nichts mit unserem brachliegenden Gartengrundstück zu tun, sondern mit selbsterrichteten Totholzhecken, Hochbeeten, Trockenmauern, Kräuterspiralen und Insektenhotels. Hätte ich gerne. Würde ich gerne machen. Klar. Ausserdem würde ich gerne 15 Kilo abnehmen, um mein Vor-5-Schwangerschaften-Gewicht wieder zu erreichen, regelmäßig wieder Sport treiben wäre also nicht schlecht, mein Liebesleben braucht auch dringend frischen Wind. Nein, keinen frischen Partner, aber mehr Zeit für den jetzigen, mehr Romantik, mehr Zweisamkeit, mehr gemeinsame Freizeit. Ach ja - und Urlaub wäre auch nicht schlecht. Für die Seele. Oder ein Yogaseminar. Ohne Yoga scheint ja gar nichts mehr zu gehen heute. Und tägliche Meditation.
Ich habe versucht, meiner Therapeutin mein Dilemma zu schildern. Meine ständige Erschöpfung, das Gefühl, nichts mehr wirklich auf die Reihe zu kriegen. Zu nichts fähig zu sein. Kein vorzeigbares Instagram-Leben zu haben. Nichtmal vorzeigbare selbstgekochte Veggie-Mahlzeiten.  Ich bin übrigens die, die gekauften Kuchen zu den Klassenfesten mitbringt und ihn vorher ein bisschen zerknautscht, damit er aussieht, wie selbstgebacken. Alle anderen Mütter übertrumpfen sich (und mich) regelmäßig mit Torten, die ganze Disneyfilme nachbilden oder farblich ins Konzept der diesjährigen Mottowoche passen.
Ja. Ich will das alles. Haben andere schließlich auch. Wie man täglich auf Instagram und Co. bewundern kann.
"Wieviele Autorinnen kennen Sie persönlich, die täglich 5-10 Seiten schreiben?", fragt meine Therapeutin. 
"Oh, das sind einige!"
"Und wie viele von denen sind alleinerziehende Mütter von 5 Kindern oder sagen wir 3 minderjährigen Kindern?", fragt sie weiter. "Und wie viele von diesen wiederum können von ihren Büchern leben? Wie viele Ihrer Netzbekanntschaften haben neben dem tollen Selbstversorgergarten auch einen Versorgerehepartner, der das nötige Kleingeld für die naturbelassenen Ziegelsteine in mediterraner Optik herbeischafft? Wie viele der Shabby-Chic-Hauseinrichterinnen kennen Sie persönlich? (Keine) Und wie viele dieser persönlichen Bekanntschaften haben Sie mal ganz überraschend zu Hause besucht, wenn die Katze nicht gerade mit viel Überredungskunst auf die farblich passende Wolldecke der mit Kreidefarben selbstgestrichenen Küchenbank drapiert worden war? Wie viele ... "
Ich unterbreche meine Therapeutin. Ich habe es ja verstanden. Der Druck, dem ich mich ausgesetzt sehe, habe ich mir selbst aufgebaut. Indem ich mich permanent mit anderen vergleiche. Indem ich zulasse, dass meine Ziele sich aus Momentaufnahmen anderer zusammensetzen, die nicht mal wirkliche Momentaufnahmen sind, sondern oft mit viel Zeit und Arbeit in Szene gesetzt wurden. Mein Tag hat nur 24 Stunden. Ich will immer noch alles. Aber was dieses "alles" ist, diese Entscheidung kann nur ich treffen. Weil nur ich mein eigenes Leben leben kann. Und nicht noch das von ganz vielen anderen. Und vielleicht werde ich in diesem Leben eben nur 500 Wörter statt 1000 pro Tag schreiben. Und eine Katze streicheln, die nicht farblich zum Vorgarten passt. Was soll's?

8. August 2017

Vom Leben schreiben


und vom Schreiben leben. Um 5:00 klingelt der Wecker. Schnell aufstehen, duschen, anziehen, Katzen füttern, dann einen prall gefüllten Rucksack und eine noch praller gefüllte Tasche aufs Rad schnallen und zum Bahnhof radeln.
Am Bahnhof ist schon Hochbetrieb. Warum sind die alle schon so wach? Ich bin todmüde, hilft aber nix, 150 km weiter warten nachher 25 Kinder darauf, dass ich mit ihnen eine Schreibwerkstatt abhalte und außerdem Ferientagebücher gestalte. Deshalb auch die prall gefüllten Taschen. In weiser Voraussicht sind sie mit Glitzerstickern, Maskingtapes und Buntstiften bis unter den Rand gefüllt. Im Zug ergattere ich mir einen Platz im Bistro. Ich muss ja noch die Morgenseiten schreiben, das habe ich heute ausnahmsweise nicht schon im Bett erledigt. Also Kaffee bestellen, Heft aufschlagen, losschreiben. In der Reihenfolge.
Mir gegenüber sitzt einer mit Stöpseln im Ohr. Er starrt auf sein iPhone. Als eine Frau ihn anspricht und nach einem freien Platz fragt, nimmt er nicht mal die Kopfhörer raus. Schüttelt nur den Kopf, macht sich breit. Ich beschließe, dafür ihm einen Platz anzubieten. In meinem nächsten Roman wäre noch einer frei. Wenn ich zeichnen könnte, würde ich ihn jetzt skizzieren. Kann ich nicht. Also skizziere ich ihn mit Worten. Notiere jede seiner Bewegungen. Es sind nicht viele. Nur ab und zu ein Wischen über die digitalen Welten in seiner Hand. Und eben die Knie. So breitbeinig nach außen gedrückt, dass bitte niemand auch nur auf die Idee kommen könnte, auf der Bank neben ihm sei noch Platz. Wenn er das täglich macht, so dasitzen mit gespreizten Beinen, dann werden seine Anzugshosen bald durchgescheuert sein überm Knie. Der Stoff spannt schon. Kurz guckt er hoch, zu mir rüber, aber ich bin nicht interessant genug. Dann doch lieber das iPhone. Auf der Stirn noch ein paar Haare, ebenfalls breit gefächert. Damit nur keiner denkt, es gäbe zu wenige davon auf seinem Kopf. Ich überlege, woher sein Wunsch kommen könnte, mehr zu scheinen als er ist. Mehr Haarfülle, mehr Körperfülle vorzutäuschen, als tatsächlich da ist. Wer hat ihn so klein gemacht, dass er heute so groß sein muss? Ich frage mich, wie er wohl heißt. Probiere Namen. Ob er verheiratet ist? Ist er. Zumindest trägt er einen Ring. Ob er zu Hause auch so viel Raum braucht? Ich stelle mir vor, wie er die Katze von seinem Fernsehsessel verscheucht. Ist schließlich sein Platz. Vielleicht ist er zu Hause auch ganz klein? Ich kann gar nicht so schnell schreiben wie der ICE fährt und dann ist mein Kaffee auch schon leer, meine Morgenseiten gefüllt und ich muss aussteigen. 
Einen halben Tag später, angefüllt mit Geschichten von Nixen, einsamen Delfinen, verschollenen Raumschiffen (ja, Raumschiffe. Piratenschiffe sind sowas von out!)  und am Strand vergrabenen Schätzen sitze ich wieder im ICE. Wieder im Bistro mit einem Kaffee. Diesmal will ich nicht schreiben. Sondern Pause machen. Ein bisschen lesen vielleicht. Ich krame nach meinem Buch. Aktuell Connie Palmen. I.M. Ich weiß jetzt schon, dass mich das Lesen dieses Buches mit einer unstillbaren Sehnsucht nach Nähe und inniger Vertrautheit zurücklassen wird. Trotzdem freue ich mich drauf. Da kommen zwei junge Frauen ins Bistro, Rucksäcke, mit denen sie die Welt umrunden könnten. Wer weiß, vielleicht haben sie das ja gemacht oder sie sind gerade dabei. Vielleicht ist mein ICE nur eine ihrer Stationen rund um den Globus. Sie setzen sich mir gegenüber, eine holt zwei Becher Kaffee, die andere packt ein Picknick aus, sie lachen, unterhalten sich, unterstreichen jeden Satz mit den Händen, ich verstehe kein Wort, sie reden in einem Kauderwelsch aus Englisch und einer Sprache, die ich nicht kenne. Ich gucke ein bisschen sehnsüchtig auf Conni Palmen und I.M., dann packe ich das Buch wieder ein, hole mein Schreibzeug raus. Wenn mich jemand fragt, woher ich immer meine Romanfiguren nehme, verstehe ich die Frage oft gar nicht.. Das Leben ist doch so voll davon. Voll von allem, was das Schreiben braucht. Figuren, Orte, Gefühle, Stimmungen.  Man muss sich nur hinsetzen und mitschreiben. Vom Leben schreiben. Dann kann man vielleicht auch irgendwann vom Schreiben leben. Und bis dahin gebe ich eben weiter Schreibkurse. Morgen wieder. Gleiche Uhrzeit. Gleicher ICE. Ich bin schon gespannt, wer diesmal gegenüber Platz nimmt.



3. August 2017

Roofer in der Alten Feuerwache

Heute möchte ich euch gerne einladen. 
Zu einer Lesung aus meinem neuen Roman Roofer
Und zu einer  Führung durch die Alte Feuerwache in Münster. 
Wer keine Ahnung hat, wovon ich rede, sollte sich kurz diese Seite anschauen. Die Alte Feuerwache ist der Sitz des Coppenrath Verlags und absolut sehenswert!
Wer also Lust hat, dieses wunderbare Gebäude einmal von innen zu bewundern und wer gleichzeitig vorher eine spannende Lesung aus Roofer genießen möchte, sollte sich einfach nur anmelden und vorbeikommen.

Wann: Am 2. September um 15:00 Uhr 
Wo: Alte Feuerwache Münster
Eintritt: frei

Anmelden unter: info@coppenrath.de



Ich hoffe, die Lesung wird richtig voll! Ganz schnell an den Verlag mailen und anmelden und die Einladung auch an Freunde und Verwandte weiterleiten, ich verspreche euch einen spannenden und unterhaltsamen Nachmittag!


31. Juli 2017

#sketchnotes

Zugegeben, ich hinke mal wieder etwas hinter her. Alle Welt zeichnet und kritzelt schon seit einer ganzen Weile. Bisher war ich nur voll stummer Bewunderung für diese hübschen fröhlichen und oft sogar richtig brauchbaren Notizen. Ich kann nicht zeichnen. Gar nicht. Damit war für mich das Thema vom Tisch.
Bis zum letzten Wochenende. Da hat es mich gepackt.
Wie das kam? 
Eigentlich wollte ich nur mal wieder ein paar Lebens-Baustellen sortieren. Hatte mir Notizen gemacht, in welchen Bereichen dringend etwas passieren muss. Körper. Klar. Ich muss abnehmen. Beruf. Auch wichtig. Muss mich neu sortieren und besser strukturieren. Finanzen. Immer ein heikles Thema. Und noch einiges mehr. Weil nur, wer schreibt, auch wirklich bleibt, fange ich für solche Projekte und Überlegungen immer ein neues Notizbuch an. Diesmal musste ein besonders schönes her, damit ich nicht so schnell die Lust an der Umsetzung meiner ganzen Pläne verliere. Und als das Buch dann so vor mir lag und mit meinen Ideen gefüllt werden wollte, war es mir auf einmal viel zu schade, einfach nur so hineinzukritzeln. Ich wollte es mit ein paar hübschen kleinen Bildchen aufmotzen, vielleicht schönere Überschriften haben (ich kann auch nicht schön schreiben, hatte ich das schon erwähnt?).


Dann fielen mir die sketchnotes ein und ich habe mich auf die Suche nach ein paar Anleitungen gemacht. Und angefangen herumzuprobieren. Das Kunststudium überlasse ich weiter meinem Sohn. So viel steht fest. Aber Spaß hat es mir plötzlich trotzdem gemacht. Und es war auch gar nicht so schwer, wie es für mich immer ausgesehen hat.
Inzwischen habe ich mein neues Tagebuch mit ganz netten Überschriften versehen, mir vorgenommen, wieder sportlicher zu werden und für euch einige gute Videos zum Nachmachen gefunden. Und weil Annelies von Meisterbar auch einen tollen Blog hat, habe ich ihre Seite einfach in meiner Blogroll verlinkt. Ich wünsch euch viel Spaß damit! Und ich gehe jetzt weiterüben.



22. Juli 2017

"Schwarz innen" von Zoë Beck

Eigentlich sollte hier heute eine Erklärung über die Änderung meines neuen Blognamens kommen. Das muss warten. Aus Gründen.
Nach dem Suizid von Chester Bennington ist - mal wieder - eine Krankheit in aller Munde, die sich sonst fies lächelnd hinter "stell dich doch nicht so an" oder "nun lass dich nicht so hängen" bis hin zu "wenn man will, dann kann man auch" versteckt: Depressionen.
Auch in meinem ganz engen Umfeld leben Menschen mit dieser Krankheit.  Und auch sie erfahren diese RatSCHLÄGE fast täglich. 
Wer an Depressionen leidet, hat trotz aller Aufgeklärtheit, trotz der auch jetzt wieder vollmundig geführten Diskussionen zu diesem Thema, in unserer Gesellschaft kaum eine Chance zu bestehen. Jemand, der manche Tage nur hinter verschlossenen Türen und runtergelassenen Rollläden ertragen kann, gilt bei uns sehr schnell als schwach, unfähig, undankbar gegenüber den Möglichkeiten, die dieses tolle Leben ihm doch bietet, wenn nicht sogar einfach als faul und unwillig. 
Obwohl ich selbst nicht betroffen bin, könnte ich Bücher füllen mit all den Vorverurteilungen und dem Unverständnis, das diesen Menschen entgegengebracht wird, mit der Häme, die sich über ihrem Scheitern an gesellschaftlichen Normen ergießt, mit der Verachtung, wenn sie mal wieder eine Erwartung nicht erfüllt haben. 

Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch

Wie sich Depressionen anfühlen, kann ich nur erahnen. Wie es sein muss, mit ihnen täglich zu leben, können nur Betroffene uns wirklich schildern. Und selbst die tun sich schwer, weil es nun mal ein Unterschied ist, eine Krankheit zu beschreiben oder sie zu haben. 
Und weil es für Depressionen scheinbar doch oft gar keinen Grund gibt. Warum lebt jemand in einer grauen Wolke, der doch offensichtlich alles hat, was man zu einem glücklichen Leben braucht? Wie kann man so faul und undankbar sein?
Ich finde diese Fragen genauso überflüssig, ja absurd, wie die Frage, warum jemand Lungenkrebs bekommen hat, der doch nie geraucht und auch sonst nur gesund gelebt hat. 
Depressionen sind keine Unzufriedenheit mit äußeren Lebensumständen. Mit Undankbarkeit haben sie nichts zu tun. Sondern mit chemischen Vorgängen im Kopf. Und die kann keiner von uns steuern. 

Heute hat sich meine Kollegin Zoë Beck zu Wort gemeldet. Ihren Artikel "Schwarz innen" hat sie als Betroffene geschrieben. 
Bitte lest diesen Artikel! Selten habe ich eine so gute Erklärung dafür gefunden für das, was da in einem Menschen passiert, der an dieser Krankheit leidet. Als Außenstehende kann auch ich nur immer wieder versuchen zu verstehen. Und selbst mein Wunsch, das zu versuchen, wird von Freunden und Angehörigen oft mit Kopfschütteln bedacht. Oder mit dem dringenden Rat, möglichst schnell das Weite zu suchen.

Depressionen sind eine Krankheit. Ich kann diese Krankheit nicht heilen. Aber ich kann mich bemühen, Menschen, die darunter leiden, zu verstehen, in dem ich mich bemühe, diese Krankheit ein Stück weit kennenzulernen und zu verstehen. 
Wir alle können das. Deshalb noch einmal: Bitte lest diesen Artikel:






16. Juli 2017

Süchtig nach dem Kick

Cover Jutta Wilke "Roofer" vor einem blauen Wolkenhimmel (Coppenrath / picture alliance / Hauke-Christian Dittrich / Collage: Deutschlandradio)


Nachdem die Roofer schon durch das Studio von hr2 geklettert sind, haben sie jetzt auch den Deutschlandfunk erobert.
Sylvia Schwab von Deutschlandradio Kultur hat sich meines Romans angenommen und ihn hier besprochen:



Viel Spaß beim Lesen oder Anhören!






10. Juli 2017

Findet die Roofer

Das ist schon toll, wenn man in die Buchhandlung kommt und dann seinen neuen Roman so wunderbar an einer ganzen Wand präsentiert findet. Noch dazu eingerahmt von allen anderen derzeit noch lieferbaren Titeln von mir. Klar musste ich schnell ein Beweisfoto für euch machen und das brachte mich dann auf eine Idee:


gefunden in der Buchhandlung "Bücher bei Dausien" in Hanau, Salzstraße


Ich bin nämlich total neugierig, ob Roofer es auch schon in eure Buchhandlung geschafft hat. Deshalb wäre es toll, wenn ihr nachgucken geht und mir dann ebenfalls ein Foto schickt zusammen mit dem Ort oder dem Namen der Buchhandlung. 
Die Fotos werden dann hier veröffentlicht. Und unter allen Einsendern verlose ich drei signierte Exemplare von Roofer. Druckfrisch. Und garantiert spannnend. 
Schickt eure Fotos an post(at)juttawilke(punkt)de
Einsendeschluss ist der 15. August 2017.

Viel Glück!



6. Juli 2017

Hamburger Vorlese Vergnügen

Vom 10. - 14. Juli 2017 findet es wieder statt: Das Sommer - Literaturfestival für Kinder.
Fast 40 Lesungen und Workshops für Kinder und Jugendliche werden in dieser Zeit angeboten und das Beste: Ich darf diesmal Teil dieser wunderbaren Veranstaltung sein, die bereits zum dritten Mal ausgerichtet wird.

Am Freitag, dem 14. Juli ab 10:00 Uhr werde ich in der Flussschifferkirche im Binnenhafen nahe der Speicherstadt aus meinem Roman "Schwarz wie Schnee" lesen. Was für ein Leseort! Ich werde euch auf jeden Fall nach der Lesung darüber berichten und auch erzählen, ob das Schiff ruhig im Wasser lag oder ich am Ende während der Lesung seekrank geworden bin.

Das komplette Programm für das diesjährige Hamburger Vorlese Vergnügen mit sämtlichen Kolleginnen und Kollegen sowie den  Veranstaltungsorten findet ihr HIER.



5. Juli 2017

Roofer bei hr2 Kultur

Es war eine aufregende Erfahrung.
Vergangene Woche wurde ich zu einem Gespräch in den Hessischen Rundfunk nach Frankfurt eingeladen. 


Daniella Baumeister wollte mit mir über meinen aktuellen Roman Roofer sprechen.
Das Ergebnis wurde gestern im Rahmen des Kulturcafés ausgestrahlt. Hier werden jeden Nachmittag unter dem Titel "Das aktuelle Kulturgespräch" Gespräche und Interviews mit Kulturschaffenden gesendet.
Das aktuelle Kulturgespräch mit mir und Roofer könnt ihr euch HIER anhören.



19. Juni 2017

House of One

Nachdem ich im letzten Beitrag viel über Steine gejammert habe, die mir im Weg herumliegen, möchte ich euch heute von Steinen berichten, aus denen Menschen etwas Wunderbares bauen: 
Das House of One.
Nie gehört? 
Das House of One entsteht zur Zeit in Berlin. Seit 2011 wird an diesem Konzept geplant und inzwischen auch tatkräftig gearbeitet. Auf dem Petriplatz, dem Standort der ehemaligen Petrikirche, die seinerzeit dem Mauerbau weichen musste und gesprengt wurde, soll das House of One entstehen, ein sakraler Bau für drei Religionen, ein Haus, in dem das Miteinander der Religionen "friedvoll, in großer Offenheit und in Würdigung der Verschiedenheit gelebt wird."



Schon die Idee dieses Hauses finde ich wunderbar. Wer mehr über dieses Projekt wissen möchte, kann sich auf der Homepage des House of One umsehen, kann die Entwürfe der Architekten bewundern, den Fortschritt der Bauplanung mitverfolgen, die einzelnen Veranstaltungen zum House of One besuchen oder zumindest virtuell nacherleben. Vor allem aber kann man das Projekt unterstützen: Ganz einfach durch den Kauf eines oder mehrerer Steine für diese wunderbare Idee.

Ich wollte euch das alles schon längst zeigen und dabei auch erzählen, was ich nun persönlich mit dem House of One zu tun habe, aber ich musste erst noch auf eine endgültige Mail aus Berlin warten, die nun in der letzten Woche eingetroffen ist.

Parallel zum "großen" House of One wird die Idee nämlich unterstützt vom Projekt "Young House of One" , einem Projekt des Alice Museums für Kinder im FEZ Berlin und der Stiftung House of One in Kooperation mit der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, der Humboldtuniversität zu Berlin und raumlabor Berlin.



Was hat es jetzt mit diesem "Young House of One" auf sich?

Auf seiner Homepage schreibt das Alice Museum für Kinder dazu:

Die Idee des House of One - das als weltweit erster Sakralbau eine Synagoge, eine Moschee und eine Kirche unter einem Dach vereinen soll - will Antworten auf eine der drängendsten Fragen liefern: Wie wollen wir zusammen leben? Wir beteiligen uns schon heute mit dem Young House of One an der Debatte. Ausgetragen wird sie von Kindern und Jugendlichen, Künstlern und Architekten, Musikern und Schauspielern. 

Das Projekt startete im Mai mit einer großen Mitmachbaustelle mitten in Berlin, genau da, wo später das House of One entstehen soll. 



Im Oktober geht es in Berlin weiter. Mit Theaterworkshops, Poetryslam, gemeinsamer Musik, philosophischen Projekten, Puppenbau, Objektkunst und einer Schreibwerkstatt. Kinder und Jugendliche aller Kulturen und aller Religionen werden an diesen Workshops teilnehmen. Und das für mich vollkommen Wunderbare und Vorfreudige daran: 
Die Schreibwerkstatt darf ich mit den Kids machen! 
Ich freue mich wahnsinnig auf dieses Projekt. Das Miteinander der Kulturen und auch der Religionen ist ein Thema, das mir sehr sehr am Herzen liegt. Dieses Thema zusammen mit Musikern, Objektkünstlern, Malern, Schauspielern und vielen anderen gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeiten zu dürfen, ist ein wirklich großartiges Geschenk an mich. Einen besseren Ort für eine entsprechende Schreibwerkstatt hätte mir niemand anbieten können.

Und damit möglichst viele Menschen auch mitbekommen, was die Teilnehmer in den einzelnen Kursen und Workshops so alles auf die Beine stellen, wird es am 20. Oktober 2017 ein großes Abschlussfest in und an der Berliner Marienkirche geben, bei dem die Ergebnisse sogar teilweise auf das Dach der Kirche projeziert werden sollen. 

(c) Alice Museum für Kinder


Wenn ihr neugierig geworden seid, mehr zum House of One und mehr zum Young House of One wissen möchtet, dann schaut euch einfach diese beiden Links an:


6. Juni 2017

Steine auf dem Weg

Im Moment hadere ich etwas mit meinem Schicksal. Nur ein bisschen. Aber wer auch immer dafür verantwortlich ist, hat offensichtlich Spaß daran, es mir nicht zu einfach zu machen. Immer dann, wenn ich denke, jetzt läuft es, wirft er mir ein paar Steinchen in den Weg, die mich ins Stolpern bringen. Aufstehen, Krönchen richten, weiter gehen. Wie oft habe ich anderen schon diesen Rat gegeben, wie oft habe ich ihn mir selbst schon gegeben. Aber im Moment fühle ich mich müde. Zu müde zum Aufstehen. Am liebsten würde ich mich einfach ins Gras legen und darauf warten, dass jemand kommt, neben mir eine Picknickdecke ausbreitet mit allem, was mein Herz begehrt und dann rumgeht und die Steine wegräumt. Aber das passiert leider nicht. Ja, ich kenne auch den Spruch, dass man aus den Steinen was Schönes bauen kann. Aber dazu müsste man sie ja erst einmal einsammeln. Und manche sind wirklich schwer wie Felsbrocken. 
Ein paar Tage habe ich versucht, mich an den eigenen Haaren hochzuziehen, auch eine Methode, die ja funktionieren soll. Habe mir die wirklich tollen Rezensionen für Roofer angesehen, mich mit dem Verkaufsstart des Romans getröstet, mir gesagt, dass ich doch allen Grund habe, glücklich und zufrieden in die Welt zu gucken. Aber da liegen eben diese Steine ... und manche sind zu groß, um dran vorbei oder drüber zu gucken. 
Es bringt vermutlich auch nichts, einfach nichts zu tun. Darauf zu warten, dass die Steine von selbst zu Staub verfallen. Soviel Zeit will ich nicht investieren. Aber ein bisschen Pause darf ich vielleicht machen? Pause vom "Funktionieren müssen". Pause vom "Angst haben". Pause vom "immer für alle da sein". Pause vom "ich kenne den Weg!" Ich kenne ihn aktuell nämlich leider gar nicht. Und mein Bauch, auf den ich mich sonst immer verlassen kann, will mir gerade auch nicht helfen. 
Einen Vorteil hat das alles. Ich kann schreiben. Offenbar brauche ich die Widrigkeiten des Lebens, um wirklich gut schreiben zu können. Diese ganz intensiven Gefühle sind es, die mich Wörter auf Papier bringen lassen. Wut, Trauer, Zorn, Verzweiflung. Und der Druck, eigentlich überhaupt keine Zeit zum Schreiben zu haben. Also meint es vielleicht doch einer gut mit mir, dass er mir eher weniger Glitzer übers Leben streut. Obwohl ich mir schon als Kind immer alles so wunderbar ausgemalt hatte. Im Drehbücher schreiben fürs eigene Leben bin ich nämlich gut. Eher weniger geschickt bin ich dann in der Umsetzung. Falsche Besetzung, falsches Setting, falscher Zeitpunkt oder das Geld geht mir aus. Letzteres besonders häufig.
Und jetzt sind da wieder diese Steine. Nicht ein großer, dicker, sondern viele kleine und mitteldicke. Ich sitze hier und betrachte sie. Irgendwann werde ich aufstehen und sie einen nach dem anderen wegtragen, wegwerfen oder vielleicht auch darüber steigen. Aber erst muss ich noch ein bisschen Kraft sammeln. Auch ohne Picknickdecke kann ich mich zurücklegen und in den Himmel gucken. Und manchmal tut es richtig gut, einmal die Perspektive zu wecheln.