Am kommenden Sonntag ist Totensonntag. Ein Tag, an dem man der Toten gedenken soll, in diesem Jahr etwas überrollt von den vorgezogenen Weihnachtsmärkten, was bei vielen Menschen zu Empörung führt.
Vor einigen Jahren habe ich diese Empörung einmal persönlich erfahren. Es war winterlich, es war rund um die Uhr dunkel, laut Kalender einige Tage vor dem Totensonntag. Ich hatte ein Haus voll kleiner Kinder und wollte ein bisschen Licht ins Dunkel bringen. Also habe ich mit ihnen zusammen den kleinen Baum vor dem Haus mit einer Lichterkette geschmückt und zusätzlich haben wir selbstgebastelte Schneeflockensterne in den Baum gehängt.
Am nächsten Tag hatten wir einen anonymen Brief im Kasten. Eine Nachbarin beschwerte sich bitterlich, dass wir die Lichtchen schon vor dem Totensonntag draußen angebracht hätten. Sie schrieb etwas von Würde und Unachtsamkeit und Weihnachtsgetöse und riet uns, die Ostereier gleich auch aufzuhängen.
Dieser Brief hat mich damals sehr betroffen gemacht. Denn für mich hat die Vorweihnachtszeit überhaupt nichts mit Getöse zu tun, dem Rummel kann ich mich ganz gut entziehen. Für mich bedeutet diese Zeit Besinnlichkeit, ein bisschen runterfahren, und ja, Lichterketten, Weihnachtsschmuck, Plätzchenduft, das gehört schon auch dazu. Ich liebe Weihnachtsmärkte und Weihnachtslieder, Weihnachtsschmuck verteile ich am liebsten im ganzen Haus, ich mag die heimelige Stimmung, die mit den Kerzen einzieht, mag das Zusammenrücken im Haus, wenn es draußen fast gar nicht mehr hell wird. Und wenn ich nach einem langen Tag im Dunkeln nach Hause komme, dann freue ich mich auch über ein paar Lichtchen im Vorgarten, die mich begrüßen. Ich bin gerne bereit über den ökologischen Unsinn solcher Lichter zu reden, würde mein Haus auch niemals von oben bis unten mit strombetriebenen Lampen zuhängen, im Gegenteil, in den letzten Jahren sind wir zu echten Kerzen in großen Windlichtern übergegangen.
Was mich an diesem Brief und auch an der Entrüstung allerorts so betroffen macht, ist nicht die Kritik am Weihnachtsschmuck, sondern die Kritik am Zeitpunkt. Ich kann mit von oben verordneter Trauer so wenig anfangen. Es gibt auch in meinem Leben einige Menschen, deren Tod mir sehr zu Herzen gegangen ist, die ich vermisse und an die ich oft denke. Aber ich brauche dazu kein Datum, das mir vorschreibt, dass ich an diesem Tag zu trauern hätte, an diesem Tag auf den Friedhof gehen muss, damit auch die anderen sehen, dass ich traurig bin. Meine Trauer hat ihre Zeit, immer mal wieder, die fragt nicht nach Monaten und Wochentagen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es die Menschen, die in meinem Herzen weiterleben, auch nicht tun.
Manchmal stelle ich mir vor, dass sie da oben alle zusammensitzen, die Tage runterzählen bis zum kommenden Sonntag und dann Wetten abschließen, wer wohl die meisten Besucher am Grab verzeichnen kann.
Versteht mich nicht falsch, ich lasse denen, die solche Gedenktage brauchen, gerne ihren Totensonntag. So wie ich anderen auch ihren Muttertag lasse, obwohl der für mich in die gleiche Kategorie fällt. Liebe und Zuneigung lassen sich nicht diktieren. Auch nicht, wenn eine Kalender-App sich am Sonntag öffnet und mahnend an die Trauer erinnert.
Wir sollten besser von den Toten und Sterbenden lernen. Kürzlich las ich einen kleinen Bericht in der Zeitung, wonach eine Palliativ-Pflegerin in Sydney zusammengetragen hat, was Sterbende ihr anvertraut haben auf die Frage, was sie am meisten bedauern.
Am häufigsten wurden diese fünf Punkte genannt:
- Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, wirklich mein eigenes Leben zu leben.
- Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.
- Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, anderen meine Gefühle auszudrücken.
- Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden aufrechterhalten.
- Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein.
Ich wünsche Euch, dass Ihr es schafft, diese fünf Punkte umzusetzen. Ganz egal, welcher Tag gerade im Kalender steht.