26. Oktober 2012

Offener Brief an Herrn Ulrich Greiner (ZEIT online)

Offener Brief an Herrn Ulrich Greiner zu seinem Artikel  "Verkindlichung" (ZEIT online),
nachzulesen hier: http://www.zeit.de/2012/42/Buchmarkt-Kinder-und-Jugendbuch

Sehr geehrter Herr Greiner,

traurig genug, dass die ZEIT ihre Kinderseite seit einigen Monaten mit "ritsch-ratsch-raus" überschreibt.

Schlimm aber, dass sich dieser Ritsch-ratsch-raus-Gedanke im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendbüchern offensichtlich auch in den Köpfen der Mitarbeiter und Redakteure manifestiert hat.
Ihr unqualifizierter Rundumschlag gegen die Kinder- und Jugendliteratur macht mich als Autorin solcher Bücher sehr betroffen.
Nach der Lektüre Ihres Artikels muss ich annehmen, dass Sie sich niemals mit Kinder- und Jugendliteratur auch nur ansatzweise befasst haben.

Sie vergleichen Äpfel mit Birnen, wenn Sie die (übrigens fantastisch geschriebene) Harry-Potter-Serie mit den Werken des Deutschen Buchpreises vergleichen. Harry Potter hat meines Wissens nämlich bisher keinen Deutschen (Jugend)buchpreis gewonnen, zahlreiche wunderbare Kinder - und Jugendbücher hingegen durchaus.

Schade, dass Sie sich mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis offensichtlich gar nicht auseinandergesetzt haben. Es stünde der ZEIT gut zu Gesicht, sich dieses Themas nicht länger so stiefmütterlich anzunehmen. Aber Ihre ZEITung hat es ja sogar geschafft, das Kinder- und Jugenbuch ganz aus dem Feuilleton zu verbannen. So sind Ihnen leider wunderbare Bücher entgangen.

Oder kennen Sie "Sieben Minuten nach Mitternacht" von Patrick Ness/Siobhan Dowd, das übrigens den Preis der Jugendjury 2012 bekam? Der Kampf eines Jungen mit dem schlechten Gewissen, weil er das lange Sterben seiner Mutter nicht mehr aushalten will, ist Ihnen nicht wirklich genug?
Sie suchen Geschichten aus der wirklichen Menschenwelt? Dann lesen Sie den Jugendbuchpreisträger 2012 "Es war einmal Indianerland" von Nils Mohl. Ich verspreche Ihnen, nach der Lektüre dieses Romans werden Sie sich nach einer besseren Welt sehnen.

Stattdessen legen Sie Bestsellerlisten für Ihre Argumentation zugrunde. Na gut, werfen wir einen gemeinsamen Blick darauf:
Seit Wochen befindet sich darauf das Jugendbuch von John Green - Das Schicksal ist ein mieser Verräter (Hanser).
Das Leben und Lieben zweier krebskranker Jugendlicher - und auch das Sterben, ja auch das - ist Ihnen ebenfalls nicht wirkliche Menschenwelt genug?
Sie brauchen noch mehr davon? Dann empfehle ich Ihnen die Lektüre des anderen aktuellen Bestsellers.
 50 Shades of Grey wird sicher von zahlreichen halbwegs ambitionierten und gebildeten Erwachsenen gelesen.

Eins noch zum unterschiedlichen Leseverhalten von Kindern und Erwachsenen:
Kinder lesen Bücher, weil sie von ihnen gefesselt werden. Nicht weil sie auf Bestsellerlisten stehen oder irgendwo nominiert worden sind.
Es sind wir "gebildeten Erwachsenen", die sich auf Shortlists stürzen und Bücher lesen, die uns manchmal zu Tode langweilen, nur um eben zu diesem erlauchten Kreis dazu zu gehören, von dem Sie so andächtig schreiben. Ein Kind legt ein Buch zur Seite, wenn ich es nicht mit den ersten Sätzen schon zu packen weiß.

Das ist der Grund, warum ich weiter für Kinder- und Jugendliche schreiben werde und zahlreiche meiner Kollegen es zum Glück auch weiter tun. Denn ohne das von Ihnen so lächerlich gemachte Kinder- und Jugendbuch gibt es später keine "ambitionierten erwachsenen Leser".

Eins dieser Jugendbücher hat übrigens einer geschrieben, der in diesem Jahr auch für den Deutschen Buchpreis 2012 nominiert worden ist. Das dürfte Ihr anspruchsvolles Herz doch höher schlagen lassen.  Ich spreche von Wolfgang Herrndorf (Tschick).

Und um es mit seinen Worten aus dem mit dem Deutschen Jugendbuchpreis 2011 ausgezeichneten Roman zu sagen:

Die Welt ist schlecht und der Mensch ist auch schlecht. Trau keinem, geh nicht mit Fremden. Das hatten mir meine Eltern erzählt. Und das Fernsehen erzählt es auch. Und vielleicht stimmte das ja auch, und der Mensch  war zu 99 Prozent schlecht. Aber das Seltsame war, dass Tschick und ich auf unserer Reise fast ausschließlich dem einen Prozent begegneten, das nicht schlecht war.

Ich bleibe dann, zusammen mit Herrn Herrndorf, gerne weiter auf der Reise durch die wunderbare Welt der Kinder- und Jugendbücher.

Herzliche Grüße
Jutta Wilke

7. Oktober 2012

Alle Jahre wieder

In drei Tagen öffnet die Buchmesse ihre Pforten.
 Für mich ein Grund, diesen Blog wieder regelmäßiger zu füttern. Meine Termine stehen fest, die Tasche mit Autogrammkarten und Leseproben ist gepackt, der Text für die Lesung am Sonntag ist vorbereitet (10 Minuten Lesezeit sind nicht eben viel für eine, die am liebsten immer das ganze Buch vorlesen möchte).
Jetzt muss ich noch einen Bettenplan, eine Einkaufsliste und einen Kochplan erstellen. Warum? Weil ich in diesem Jahr mich erstmals nicht nur auf der Buchmesse ins Gewühl stürzen werde, sondern weil ich auch ganz liebe Buchmenschen bei mir zu Hause beherbergen werde. Ich freue mich auf meine Gäste wie ein kleines Kind, denn was gibt es schöneres, als einen Messetag gemütlich im Kreis von Gleichgesinnten ausklingen zu lassen. In meinem Fall werden das sein Stefanie Leo von den Bücherkindern, Claudia von Claudias Bücherregal, Hubert Schirneck, der sich was traut unter uns Frauen und meine liebste Kollegin Alice Gabathuler.

Es wird ein Fest werden. Ein Bücherfest. Und am Ende wird es uns allen so gehen, wie dem Verleger im Urlaub, den heute das aktuelle Börsenblatt abgebildet hat.

(c) Börsenblatt 7. Oktober 2012