14. Januar 2014

Und sie dreht sich doch ...

Es ist noch gar nicht so lange her, da hatte ich meinen Rückzug aus Facebook und Co. verkündet. Und mich damit wunderbar gefühlt. Was blieb, war allerdings ein Rest Unsicherheit. Wie sollte ich für meine Bücher werben, wenn alle Welt sich nur noch online tummelt? Wie würde ich in Zukunft Rezensionen verlinken, Neuerscheinungen vorstellen oder Lesungstermine bekanntgeben. Es waren Kollegen, die dann zu mir sagten: "Es war dumm, sich bei FB zu löschen. Man braucht diesen und andere Kanäle heute, um auf sich aufmerksam zu machen."
Ich ließ mich überreden. Wider besseres Wissen. Denn ich hatte mich nach meinem "Ausstieg" aus den Tiefen des Social-Media so gut gefühlt, wie schon lange nicht mehr. Ein neuer FB-Account wurde angelegt, Twitter wurde reaktiviert. Und schon nach wenigen Wochen war ich am gleichen Punkt wie zuvor. Ich versank hilflos in einem Morast aus Postings, die die Welt nicht braucht, peinlichen Videos, Katzenfotos und politischen Diskussionen, die diesen Namen gar nicht verdient haben. Ich ärgerte mich über mich selbst. Weil ich mich überreden ließ, da wieder mitzumischen. Und weil ich wieder anfing, die Welt nicht mehr mit meinen, sondern mit den Augen von Facebook zu betrachten.
Ich habe für mich die Konsequenzen gezogen und meine Accounts wieder gelöscht. Endgültig diesmal. Ich fühle mich wie befreit. Befreit von Zwängen, die ich mir doch selbst auferlegt hatte. Und plötzlich erlebe ich wieder das, was Nikola Hotel in ihrem Blog als die "große Sehnsucht" beschreibt:
In mir ist eine große Sehnsucht nach den Zeiten, als man noch ganze Texte las und verstand. Nicht bloß Kurznachrichten. Als man sein Essen noch genoss und aß, anstatt es zu fotografieren. Als man noch ein Bauwerk besichtigen, einem Lied lauschen oder in den Bildern eines Films schwelgen konnte, ohne hinterher oder sogar währenddessen darüber zu tweeten und zu posten.

Ich war in den ersten Januar Tagen mit dem Mann eine Woche in Weimar. Wir bummelten durch die Altstadt, genossen die berühmten Klassiker, ihre Wohnhäuser und Gärten, schwelgten in Literatur und Cafés und plötzlich fiel es mir auf: Fast alle Besucher der historischen Stätten betrachteten diese nicht mehr mit ihren Augen, sondern nur noch durch den Sucher ihrer Smartphones.
Vor wenigen Wochen noch hätte ich selbst jeden Grabstein, jeden Beweis für mein kulturelles Interesse, ja selbst die Torte aus dem Café Residenz mit meinem Handy fotografiert und sofort gepostet. Als ob all diese Dinge nur etwas wert sind, wenn sie von möglichst vielen Menschen geliked, geteilt oder retweetet werden. Es war eine ungeheure Erleichterung, das nicht mehr tun zu müssen. Und auch gar nicht mehr zu wollen. Es fühlt sich an, wie ein Befreiungsschlag, die Welt nicht mehr den ganzen Tag durch die Augen unzähliger Facebookprofile betrachten zu müssen, sondern sich ganz alleine auf seine eigenen Augen, Ohren und Empfindungen verlassen zu dürfen.


Und dann fiel mir dieser Zeitungsartikel in die Hand. Da ich im Urlaub war und die Zeitung in einem der Cafés auslag, habe ich den Artikel weder mitgenommen noch mir aufgeschrieben, in welcher Zeitung er stand. Aber den Inhalt habe ich mir gemerkt, denn er hat mich betroffen gemacht.
Es ging um Einsamkeit. Und darum, wie einsam wir alle sein müssen, wenn wir in der Weihnachtszeit und der Zeit des Jahreswechsels nichts Wichtigeres zu tun haben, als jede Minute unter dem Weihnachtsbaum sofort mit der Facebooknation zu teilen. Was ist das für eine Welt, in der Besinnung nur noch virtuell durch Fotos von (elektrischen) Kerzen stattfindet, in der der Klick auf die Massen-Neujahrswünsche um punkt Zwölf wichtiger ist, als das Anstoßen mit den Liebsten? Was ist das für eine Welt, in der Todesanzeigen für Menschen gepostet werden, die gerade im Krankenhaus um ihr Leben kämpfen, nur um der erste zu sein, der möglichst viele Likes erhält. 
Oder - um die wunderbare Nikola Hotel noch einmal zu zitieren - was ist das für eine Welt, in der Menschen aus einem Satz nicht mehr heraushören, wie er gemeint ist, wenn kein Smiley dahinter steht?
Ich will das alles nicht mehr. Ich will Gespräche, die echt sind, Umarmungen, die man fühlen kann, Mahlzeiten, die man schmecken kann und Katzen, die man streicheln kann. Und vor allem will ich das alles, ohne mir die ganze Zeit dabei überlegen zu müssen, was davon ich wie auf Facebook teilen könnte und ich will es, ohne alle paar Minuten gucken zu müssen, ob es auch möglichst viele Menschen gelesen haben.
Und statt mich in Hunderten von nichtssagenden Tweets zu verlieren, greife ich in Zukunft lieber wieder zu einem guten Buch.
Ich habe meine Accounts diesmal still und leise (schon Ende November) gelöscht, ohne mich blumig von der Facebookgemeinde zu verabschieden. Und ich habe mich nicht wirklich darüber gewundert, dass von meinen rund 1500 "Freunden" offenbar nicht ein einziger mein Fehlen bemerkt hat.

Und da ich gerade aus Weimar komme: Es war Goethe, der sich nach einer Gegenbewegung sehnte zu dem "größten Unheil" der europäischen Zivilisation, die in ihrem Zeit verschlingenden Tempo "im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist." (Goethe an Nicolovius im November 1825)

Die Welt dreht sich auch ohne Facebook und Co. weiter. Und ich genieße die neue Langsamkeit.

7 Kommentare:

Frau B. hat gesagt…

Interessant. Wieder jemand, der müde von Facebook, Twitter ist. Petra van Cronenburg zieht sich dort privat auch zurück, hat aber noch ihre Autorenseite. Und dann postet Kerstin Hoffmann noch diesen Beitrag in ihrem Blog, der sich genau auch mit dem Thema beschäftigt: http://www.kerstin-hoffmann.de/pr-doktor/2014/01/13/haben-sie-auch-einen-social-media-kater/

Ich denke, auch als Autor kann man ohne Facebook gut im Web den Kontakt zu Lesern halten bzw. Marketing betreiben. So ein Blog ist doch ideal fürs Posten von Rezensionen etc. Natürlich scheint auf den ersten Blick es schwieriger zu sein, aber langfristig ist dieser Weg gut gangbar. Denn schaut man auf die Statistik von Facebookseiten tritt hinsichtlich Reichweite schnell Ernüchterung ein.
Und was das Vermissen betrifft. Jetzt beim Lesen fiel mir Ihre Abwesenheit auf FB auf. Ich glaube, ich habe Sie ab und zu bei Stefanie Leo posten sehen.

Unknown hat gesagt…

Ein großartiger Post. Es spricht mir sehr aus der Seele. Eigentlich hasst man die Sozialen Netzwerke, aber sie sind einfach omnipräsent. Ich habe den großteil der Leute geblockt und nutze FB lediglich für Gruppenchats.
Wenn du nur halb so gut in deinem Buch schreibst, werde ich es mir gleich bestellen :)

Jutta Wilke hat gesagt…

Ja, müde ist das passende Wort. Oder vielleicht übermüdet. Gesättigt. Vollgefressen. Und wer sich zu voll frisst, der weiß am Ende nicht mehr, wie ein frischer Apfel schmeckt. Ich glaube, das ist es, was gerade mit uns passiert. Und das Schöne daran ist ja, dass wir es selbst und ohne Hilfe ändern können.
Liebe(r) Rabenritter, ob meine Bücher gut geschrieben sind, diese Beurteilung überlasse ich lieber anderen. Aber mit Herzblut sind sie geschrieben.
Liebe Grüße
Jutta

Hanne~BookLounge Lesegenuss hat gesagt…

Ach Jutta, es ist mir schon aufgefallen, dass du nicht mehr auf FB bist. Aber wie gesagt, ich habe nicht die Zeit und Muße, mich mit allem dort zu beschäftigen. Ich lese hin und wieder hier auf deiner Seite, versuch auch zu kommentieren und das reicht mir auch. Wenn jemand Kontakte halten will, geht das auch so.
Für mich als Bloggerin ist halt die FB-Page für den Blog da, weil es auch von den Verlagen "gewünscht" ist. Ob ich das endlos durchhalten kann, weiß ich noch nicht. Meine Zeit nutze ich für etliche andere Dinge, und wenn das Leben dir manchmal Knüppel zwischen die Beine wirft, dann wirft man wach und fragt sich, brauch ich das? Twitter hab ich eh nicht und mit dem Handy durch die Stadt laufen auch nicht. Habe ich gerade heute erst wieder festgestellt, als ich noch schnell in Stade was erledigen mußte. Jeder Hans und Pups mußte noch mal dringend öffentlich telefonieren. Ich HASSE es!
Danke für diese klaren Worte, von Herzen und ehrlich - wenn es doch mehr von dir geben würde.
Ich brauch es auch nicht, auf FB ewig zu lesen, welche Autoren gerade unter den ersten 100 sind usw. Sinnlose Zeitvergeudung.
Liebe Grüße und schade, dein Buch war noch nicht in meiner Lieblingsbuchhandlung. Wir bleiben dran.
LG HANNE

Papier und Tintenwelten hat gesagt…

Liebe Frau Wilke,
das finde ich super. Und ich kann es gut nachvollziehen. Auch den Zwiespalt, in dem sie gesessen haben, aber ich finde man sollte auf sein Gefühl hören und das tun, womit man sich wirklich wohlfühlt.
Ich ziehe mich auch immer weiter aus solchen Communities zurück und fühle mich mehr als gut damit. Es ist viel schöner persönlich zu schreiben, oder sich zu sehen und zu sprechen.
Lieben Gruss Petra

Christine hat gesagt…

Liebe Frau Wilke,

ich habe gerade durch die Blogs bei "Brigitte Mom" gestöbert und auf Ihrer Seite habe ich nach vielen Anderen endlich das Gefühl, dass die Zeit ein bisschen stehen bleiben darf. Wo findet man noch Webseiten, auf denen man nicht "liken", "sharen" oder dergleichen darf? Ich habe auch vor langer Zeit meinen Facebook-Account gelöscht, bei anderen Netzen und Twitter bin ich zum Glück erst gar nicht eingetreten. Ich bereue den Schritt bis heute nicht. Wie Sie in Ihrem Bericht schon richtig schreiben, hat man endlich mehr Luft - für die wirklich wichtigen Dinge, Hobbies und nahestehenden Freunde (statt der 1500 Pseudofreunde). Zeit ist ein Gut, das Jeder heute im Übermaß haben möchte, aber in Wirklichkeit gar nicht mehr hat. Weil man sich nicht die Zeit der Ruhe, Meditation oder auch einem persönlichen Treffen mit einer Freundin im Café nimmt, aus Angst, das "wahre" Leben, das anscheinend nur mit Smartphone und 12000 Apps lebenswert ist, zu verpassen.

Ein großartiger Artikel, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Vielen Dank dafür.

Liebe Grüße
Christine

Jutta Wilke hat gesagt…

Liebe Christine,
ich freue mich, dass mein Artikel Sie so angesprochen hat. Ich bin auch immer wieder erstaunt, wieviel Zeit wir alle in unserer Familie gewinnen, wenn wir nur ein paar kleine Änderungen herbeiführen. Und wir wertvoll Zeit auf einmal wieder genutzt werden kann. Das ist ja das Kuriose an der Zeit ... sie ist da ... war nie weg ... wir haben sie nur zugeschüttet ;-)
Liebe Grüße
Jutta Wilke