1. Juni 2014

"Branche ohne Wert"

Mit seinem Kinderbuch "Die Milchpiraten" hat es mein Agenturkollege Kai Lüftner in den Leipziger Lesekompass 2014 geschafft. Und auch sonst hat der Mann, der sich selbst den vielleicht gefährlichsten Kinderbuchautor Deutschlands nennt, einiges zu bieten. 
Wie viele Kinderbuchautoren beschäftigt auch Kai Lüftner ein Thema ganz besonders: Der Wert der Kinderbuchbranche. Ich habe meinem persönlichen Unmut zu diesem Thema in meinem Blog schon oft Luft gemacht. Sei es der Rausschmiss des Kinderbuchs vor einigen Jahren aus dem Feuilleton der ZEIT, sei es die Missachtung deutschsprachiger Kinder- und Jugendliteratur beim Deutschen Jugendliteraturpreis. Sei es die miserable Vergütung von Kinder- und Jugendbuchautoren im Vergleich zu ihren Kollegen im Erwachsenenbuchbereich.  Oder sei es einfach nur die Frage "Wann schreibst du endlich mal ein richtiges Buch?" Der nicht vorhandene Stellenwert des Kinderbuchs in der Literaturbranche ist offensichtlich. Da sind wir uns einig. Und letzte Woche ist Kai offensichtlich der Kragen geplatzt. Er hat er via Facebook einen offenen Brief geschrieben, der uns alle angeht. Und mit dem er offensichtlich in ein Wespennest gestochen hat. Auf meine Frage, ob ich den Brief veröffentlichen dürfe, schrieb mir Kai, dass er auch nicht im Ansatz geahnt habe, welchen Wirbel dieser Brief auslösen würde, sonst hätte er sich mehr Mühe gegeben.
Ich bin heilfroh, dass Kai von dem Wirbel nichts ahnte. Denn so ist der Brief wie Kai Lüftner auch: Spontan, authentisch, erbarmungslos ehrlich. 
Ich kann nur sagen: Gut gebrüllt, Herr Lüftner!
© Michael Rahn

Und hier - mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors der Offene Brief von Kai Lüftner
Das große Klein-Gemache
oder: eine Branche ohne Wert!
Guten Tag.
Mein Name is Kai. Ich bin seit ca. drei Jahren sowas wie ein Autor, ein Kreativitäter der sich für die Zielgruppe Kind entschieden hat. Und irgendwie hab ich grad voll Erfolg und so – mehrere Bücher bei verschiedenen Verlagen, Preise, Auslandslizenzen, Hörbücher, Musik-CDs und ne Planungssicherheit für die nächsten drei – vier Jahre! Wow, oder?
Ja, alles cool eigentlich! Nich hinterfragen, sondern dankbardankbardankbar sein und einfach genauso weitermachen! Hinter der Doppeldeckung den Rückenwind genießen, so lange er weht. -
Is mir aber leider irgendwie nich möglich! Denn hier läuft gewaltig was schief!
Ich komme vom Hörbuch, hab u.a. für Comedians und TV-Produktionsbuden geschrieben, war als Redakteur für Radio oder Printmedien tätig. Und was soll ich sagen? – Es waren fast alles Scheißjobs, gegen die ich mich letztlich ganz bewusst entschieden hab!
Aber, Momentchen, jedes einzelne mal hab ich trotzdem besser verdient als jetz, wo ich meine eigenen Inhalte kreiere. Inhalte für Kinder. Für das Wichtigste im Leben! Oder?
Ähm, hat meine Arbeit denn eigentlich einen Wert wenn sie so schlecht vergütet wird? Für die Zielgruppe? Die Verlage? Mich selbst?
Das Thema ist nich neu. „Erfolgreich, aber arm!“ titelte gerade erst einNDR-Bericht, indem unter anderem meine geschätzte Kollegin Antje Herden tief über die raue Wirklichkeit für uns Kinderbuchautoren blicken ließ. Aber durch is das Thema noch lange nich, denn man hat noch ein paar wesentliche Punkte außer Acht gelassen, finde ich!
Als es hieß, ich würde in eine große deutsche Talkshow eingeladen, sind Menschen, die seit Jahrzehnten in Presseabteilungen von Verlagen arbeiten, beinahe kollabiert. Das gab es ja noch nie! Wahnsinn! Einer „unserer“ Autoren? Im Fernsehen? – Ehrlich, als diese Nachricht so langsam durchsickerte, war das wie ein Paukenschlag in der Branche. Am Anfang hab ich das gar nich so richtig registriert, sondern einfach nur hingenommen – aber die Dimension dieses Ereignisses und die damit verbundene Aufregung hat mich rückblickend wirklich erschrocken – und vor allem zum Nachdenken gebracht.
Es scheint ganz normal zu sein:
Jeder Vollhorst, der mal n Stoppschild bei „GZSZ“ oder in der Lindenstraße gespielt und dann – unvermeidlich – seine Biographie oder einen Selbstverwirklichungs-Ratgeber veröffentlicht hat, wird durch alle existenten Talkshows gejagt und bekommt seine ihm offenbar zustehende Portion Öffentlichkeit.
Bamm, zwei Wochen Power-Promo später hat sich selbst der größte Rotz 20000 mal verkauft! Herzlichen Glückwunsch, Zweit- und Drittauflage – Bestseller – Dankeschön!
Wir Kinderbuchautoren sind schon stolz wie Bolle, wenn wir mal im regionalen offenen Kanal kurz unser neues Werk präsentieren dürfen und nach einer Lesung in der Bibliothek von Klein Kleckersdorf drei signierte Exemplare aus unserem Bücherkoffer verscherbelt haben. Als Gimmicks noch die selbstfinanzierten Lesezeichen oder Autogrammkarten für die Kinder – und darauf hoffen, dass es im Backstagebereich noch Kaffee und Käsebrötchen gibt.
Das is übertrieben? Nich im Geringsten! Alles immer schön kleinklein. Und sich die ganze Zeit bewusst machen, in was für einer privilegierten Situation man is. – Hey, wir dürfen Kinderbücher schreiben, während andere richtig arbeiten müssen. Alles klar?
Und wo sind eigentlich die Stars der Branche? Wo sind die Gesichter zu den Namen derer, die erfolgreiche Titel produzieren? Wen kennt man denn noch, wenn man nich Händler, oder Blogger oder Verlagsmitarbeiter is?
Die alten Recken des Kinderbuchs klingen den meisten noch im Ohr: Michael Ende, Astrid Lindgren, Paul Maar, Ottfried Preussler, James Krüss, Enid Blyton, Erich Kästner – allesamt Stars! – Aber das is doch schon Jahre her! 10? 15? 20? Ich weiß es nich genau.
Heute fallen einem vielleicht noch Cornelia Funke, Kirsten Boje oder Andreas Steinhöfel ein. Wobei ich mir da nich mal wirklich sicher bin. – Und selbst diese Erfolgsautoren können vermutlich vollkommen unerkannt im Bademantel Brötchen holen gehen. WIESO KÖNNEN SIE DAS? Wie is das möglich?
Während Herr Schätzing Schlüppa-Werbung macht, Herr Hohlbein ne eigene Doku-Soup im Privatfernsehen bekommt und Herr Fitzek sowieso n Popstar is, verdienen Jugendliteraturpreis-Gewinner ihren eigentlichen Lebensunterhalt als Synchronsprecher, geben Schreib-Workshops oder sind das ganze Jahr auf Tour, um über die Runden zu kommen!
Da platzt mir doch echt ne Ader!!!
Ich möchte brüllen: Hallo, hier sind wir! Die Frauen und Männer, die die Inhalte schreiben, die eure Kinder lesen! Meistens sogar gerne! Is es echt nich interessant, wie wir die Welt sehen, oder was wir über das Schreiben hinaus zu sagen haben? Is die Meinung eines Schauspielers, einer Nachrichtensprecherin, eines Pop-Musikers wirklich kategorisch so viel interessanter als unsere?
Ehrlich?
Ich hab allerdings auch das Gefühl, ein Teil dieses nicht zu leugnenden Zustandes resultiert aus der Selbstwahrnehmung der Branche selbst. Sorry, ich will niemandem zu nahe treten, aber wann habt ihr euch das letzte mal breit gemacht für „eure Kunst“ oder „unsere Sache“?
Wer legt sich mit seinem Verlag an, wenn der die Prozente runterschraubt, irgendwelche Rechte über das Buch hinaus auf Lebenszeit besitzen möchte, Vorschüsse halbiert oder einfach mal nichts für das Produkt tut, nachdem es erschienen is? Wer?
Ein großer Verlag für den ich arbeite war es scheinbar überhaupt nich gewöhnt, dass man die von ihm ausgestellten Vertragsangebote mit Anmerkungen zurück schickt. Das kannten die schlicht und ergreifend nich.
Einer meiner Lieblings-O-Töne aus unser schriftlichen Korrespondenz, als ich den Vertrag nach Prüfung durch meinen Medien-Anwalt zum dritten Mal zurückschickte und auf gewisse Dinge bestand: „Man könnte anhand Ihres Verhaltens vermuten, Sie wollen gar nicht bei uns veröffentlichen!“
Doch, lieber Verlag, will ich! Sehr gern sogar! Ich will nur auch was davon haben! Ich möchte zum Beispiel die Hörbuchrechte behalten! Bei ein paar hundert angebotenen Euro Vorschuss, sollte man doch noch ein paar hundert Euro mehr aushandeln dürfen! Und nein, ich möchte nicht kategorisch meine Rechte an allen noch nicht bekannten Nutzungsmedien abtreten!
Vor allem, wenn ein Buch in der Herstellung so günstig is, wie ein Kinderbuch (billiger Autor, billiger Illustrator, billige Produktionskosten im Ausland), muss man sich als Verlag auch nich wirklich ins Zeug legen. Die paar Tausend Euro werden schon irgendwie wieder eingespielt – und wenn nich, egal! Versendet sich und macht sich ganz gut in der Backlist. Wird halt der nächste Autor ausprobiert, kein Ding!
Außerdem haben wir Kinderbuchschreiber auch scheinbar längst irgendwie akzeptiert in Nischen statt zu finden, außerhalb des Feuilletons und unterhalb des Wahrnehmungsradars der relevanten Medien. Eine positive Amazon-Rezi is uns schon mal ein Facebookposting wert! Hey, wenn andere nich über uns sprechen, müssen wir es eben selber machen!
Kürzlich zufällig mal Kinderradio gehört? Der einzige relevante und explizite Sender, den es gibt, spielt zu 50% Chart-Musik. Also Erwachsenen-Charts!
Es gibt eine einzige Sendung über Kinderliteratur im deutschen Fernsehen! EINE! EINZIGE!
Hey, schau mal, ne dreizeilige Besprechung meines neuen Buches im kostenlosen Magazin der deutschen Bahn! Wahnsinn!
Das Land der Dichter und Denker verscherbelt seine Kinderbuchautoren am Krabbeltisch. Und wir basteln uns auch noch unsere Sonderangebots-Schildchen selber.
Mann ey, lasst mal was machen! Wenigstens mit der Faust auf den Tisch hauen und kund tun, dass wir das mitbekommen, was hier mit uns abgezogen wird. Wir müssen echt aufhören uns so klein zu machen, sonst sind wir so klein wie sie uns gerne hätten. Die Verlage brauchen uns mehr, als wir die Verlage.
Verkauft euch nich unter Wert! Macht euer Ding – und das zu euren Bedingungen! Im Team zwar, aber als gleichberechtigte Partner, nich als Bedarfsschreiber! – Das klingt einfacher als es is? Stimmt nich – es is einfacher als es klingt.
Habt euch lieb! Ich tue es!
Kai

4 Kommentare:

Ulrike Bliefert hat gesagt…

Das Schlimmste ist für mich ist darüber hinaus, dass uns vorgeschrieben wird, was für Themen mit welchen Titeln wir zu schreiben haben und dass Eigenkreativität eher als Makel denn als wünschenswerter Beitrag zum Verlags-Angebot betrachtet wird. Es cathedra wird verkündet, dass "historisch gar nicht" geht oder dass man ab sofort statt Krimis Love-Stories zu schreiben hat. Vor exakt diesen Vorgängen bin ich geflohen, als ich das Drehbuchschreiben aufgegeben habe. Naja: Ich hab's anno `68 vorausgesagt, dass das mit dem entfesselten Kapitalismus kein gutes Ende nimmt. Aber uns hat ja keiner gegelaubt ...

Tina Zang hat gesagt…

Ja, genau so ist es. Damit habe ich nun jahrelang Erfahrungen gesammelt. Dank einer tüchtigen Agentin hatte ich wenigstens gute Verträge und konnte vom Kinderbuchschreiben leben - bis plötzlich alle meine Verlage gleichzeitig auf die Idee kamen, meine Bücher zu verramschen und ich von jetzt auf nachher ohne Tantiemen, ohne Vorschüsse, ohne Lesungshonorare dastand. Ups, dumm gelaufen.
Dann wurde mir klar, was für einen Schatz ich damit besitze: die Rechte an all diesen Titeln gehören wieder mir. Totales Glücksgefühl. Goldrausch sozusagen. Jetzt bin ich mein eigener Verlag. Mein erstes selbstproduziertes Buch ist ein Bestseller und ich muss die Einnahmen und Verwertungsrechte mit niemandem teilen.
Meine neuen Ideen kann ich ab jetzt umsetzen, ohne dass mir jemand vorhält, ich wäre zu weit weg vom Mainstream. Nie wieder wird eine Trilogie nur zwei Teile haben, weil ein Verlagsleiter mal kurz das Programm niedermäht.
Vermissen werde ich allerdings die Zusammenarbeit mit einigen Lektorinnen, die wirklich großartig waren. Aber es gibt ja auch freie Lektorinnen, und einige davon kenne ich sogar noch "von damals", als sie noch für Verlage gearbeitet haben. Kinderbuchlektorinnen haben es nämlich auch nicht leicht ...
Danke jedenfalls für dieses Posting, liebe Jutta, und danke für den offenen Brief, Kai.
Liebe Grüße, Tina

Alexander hat gesagt…

Ja - so isses, aber welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen?
Ich persönlich mache einfach nicht mehr mit, weshalb ich eben auch im Kinderbuchforum nur noch sporadisch vielleicht einmal im Monat vorbei schaue. Geht es mir nun deshalb schlechter? Nee, überhaupt nicht.
Liebe Grüße
Alex

Henner und Matze hat gesagt…

Es gab im vergangenen Jahr 2,7 Millionen Grundschüler in Deutschland. Gehen wir von weiteren 2,7 Millionen in den Klassen 5-8 aus. Ich behaupte, dass das Interesse an Büchern bei den meisten ab der 9. Klasse rapide gegen Null sinkt und erst nach dem Abi wieder ansteigt. Betrachten wir also nur die 5,4 Mio jährlich und stellen uns ein paar Fragen: Wie viele von den 5,4 Mio lesen regelmäßig? 15%? Wie viele von denen betrachten Kinder, die sehr viel lesen, als Streber? 10%? 5%?
Wie oft werden aktuelle Bücher in Grundschulen gelesen? Wie oft sind es die von Astrid Lindgren, Kästner und Co.? Wie oft kaufen Eltern ihren Kindern aktuelle Bücher? Wie oft kaufen sie die Klassiker, die sie selber schon als Kinder gelesen haben? Wie viele Eltern und Lehrer glauben tatsächlich, dass Lesen eher etwas für Mädchen ist? Wie sehr werden aktuelle Jugendbücher in die Lehrpläne der höheren Schüler eingebunden statt die ewig selbe deutsche Literatur nach Lehrplan?
Welche Grundschulen und Schulklassen leisten sich eine Schulbibliothek? Wie viele Lehrer lesen ihren Schülern noch vor? Wie viele Eltern lesen ihren Kindern heute noch vor? (Viel zu wenige wie die Zahlen zeigen: http://www.lesen-in-deutschland.de/html/content.php?object=journal&lid=786)
In einer Gesellschaft, in der, je nach Klassenzugehörigkeit, ein Buch als Zeitverschwendung gilt und gegen den Film und die neuen US-Serien keine Chance hat, oder in der spannende und lustige Romane als niveaulos geringschätzt werden, in der Kinderbücher nur als eine Vorstufe zu den echten Büchern angesehen werden, in der Lesen vielen zu anstrengend ist und in der andere nur das konsumieren, was die Bestsellerliste anpreist, in einer solchen Gesellschaft darf man sich nicht wundern, dass Kinderbuchautoren, zumal "erfolglose", nicht beachtet werden.
Das rechtfertigt natürlich nicht, dass viele Verlage Autoren ausnutzen anstatt sie zu verwöhnen oder wenigstens fair zu behandeln. Ich habe mit meinem aktuellen Buch gerade das große Glück, dass mein Verlag so ist, wie man sich ihn für alle Autoren wünscht: Wertschätzung auf allen Ebenen, Werbung und Marketing, offen für alle Medien, ein fairer Vertrag, Mitspracherecht bei der Produktion des Buches ... aber das liegt wohl auch daran, dass man sich sehr viel von meinem Titel verspricht - keine Ahnung, wie das den Titeln mit kleineren Auflagen ergeht.
Wären Kinderbücher in Deutschland eine geschätztere Ware, was gleichbedeutend ist mit deutlich mehr Lesern in diesem Segment, also höheren Auflagen, würde man mit uns auch anders umgehen, sowohl in der Öffentlichkeit, als auch in den Verlagen.
Man muss diesen Status aber nicht für alle Zeit so hinnehmen.
In der Bildungspolitik würde ein neues Unterrichtsfach "Geschichten lesen" helfen.
Den Verlagen empfehle ich auslaufende Titel nicht nur zu verramschen, sondern die Bücher an Schulen zu verschenken, sodass neue Kunden heranwachsen.
Und die öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender sollten sich an ihren Bildungsauftrag erinnern und entsprechend berichten.
So erzeugt man möglicherweise ein neues Bewusstsein für das Lesen von guten Geschichten für Kinder und Jugendliche.
Danke jedenfalls für diesen Beitrag, lieber Kollege Lüftner. Christian Matzerath