Am Tag der Vereidigung des aktuellen amerikanischen Präsidenten, dessen Name man am liebsten unter die Harry-Potter-Kategorie dessen "der nicht genannt werden darf" einordnen möchte, ging ein Aufschrei durch Twitter. Denn pünktlich zum Eid auf zwei (!) Bibeln wurde aus dem ehemaligen Twitter-Account @potus von Obama der Account @potus44 und Trump bekam den offiziellen @potus-Account. Hatte alles noch seine Richtigkeit, wenn auch ein hämisches Grinsen durch die Twitter-Welt ging, als man erkannte, dass Trumps Hintergrundbanner die Aufnahme eines Fahnenmeeres anlässlich Obamas Inauguration war.
Nur wenige Sekunden später dann der oben erwähnte Aufschrei: Entfolgen, entfolgen! Denn logischerweise waren die alten @potus-Anhänger plötzlich auch zu den neuen geworden. Und wer Obama auf Twitter folgte, wollte das in der Regel keinesfalls gleichzeitig auch mit Trump tun.
Auch ich habe Trump sofort gelöscht und ihn sogar blockiert in einem ersten Überschwang von "hier kann ich jetzt mal handeln". Aber war das wirklich so schlau?
Diese Frage bezieht sich nicht nur auf den amerikanischen Präsidenten.
Wie eigentlich alle aus meiner Timeline weigere ich mich genauso, AFD-Mitgliedern und ihren Anhängern zu folgen, Verkünder rechtsradikaler Parolen findet man unter jenen, denen ich auf Twitter folge, ebenfalls nicht.
Ich befinde mich mit meinen Followern in bester Gesellschaft. Wir twittern und retweeten unseren Frust über den Ausgang der Wahl in USA, wettern zwischen zwei Tassen Kaffee munter gemeinsam gegen Rechts, teilen Zeitungsartikel und Youtubeclips, die unsere Meinung unterstreichen. Und fühlen uns mächtig revolutionär. Schließlich tun wir was. Wir wehren uns. Wir sagen unsere Meinung. Wir sind mehrere Stunden täglich online, um die Welt zu verbessern. Aber tun wir das wirklich?
Heute morgen, beim Durchklicken durch die Tweets, die ich in den letzten Stunden verpasst habe, beschlich mich das leise Gefühl, dass ich mich in einem Kaffeekränzchen mit Gleichgesinnten befinde. Schön, so viele Gleichgesinnte um mich zu haben, nett, gleich mal wieder einen hämischen Witz über Trump zu retweeten. Schließlich muss die Welt aufgeklärt werden. Aber meine Follower sind nicht die Welt. Sie sind nur ein winziger Teil dessen, was da draußen gerade los ist. Und zwar der Teil, der ja ohnehin schon begriffen hat.
Wir sitzen in riesigen Blasen. In Kaffeehäusern aus Glas. Wir schauen raus, aber wir gehen nicht raus. Wir schaffen uns unsere eigene (heile) Welt, während die Welt draußen gerade zusammenbricht. Wir prosten uns zu und twittern unsere Meinung, manchmal durchaus sehr deutlich, aber die Adressaten haben ohnehin die gleiche Meinung, sie müssen wir nicht mehr überzeugen.
Ich behaupte, so kommen wir keinen Schritt weiter. Wenn wir wirklich etwas bewegen wollen, wenn wir diese Welt noch retten wollen, dann müssen wir unsere Blasen, unsere Glashäuser verlassen und nach draußen vor die Tür unserer bisherigen Timeline gehen. Dann müssen wir denen "folgen", die wir durch Ignoranz nicht wirklich bekämpfen, sondern eher bestätigen in ihrer Dummheit. Dann müssen wir unseren Mund aufmachen und denen, die sich da draußen benehmen wie Kinder im Trotzalter, einen Riegel vorschieben. Täglich. Laut. Deutlich. Es ist sicher gut und wichtig, sich Rückversicherung in den eigenen Reihen zu holen, Lügen aufzudecken und Missstände anzuprangern. Aber dann muss zwingend der nächste Schritt kommen. Dann müssen wir diese Missstände denen um die Ohren hauen, die sie zu verantworten haben.
Der Account @realDonaldTrump hat derzeit rund 22 Millionen Follower. der Account @potus rund 14 Millionen.
Wir können doch nicht ernsthaft länger zulassen, dass diese Millionen in ihrer Timeline täglich nur die Selbstbeweihräucherungspostings von Mister President lesen. Wir sollten diese Timelines im In- und Ausland fluten, sie mit Wissen, Information und Aufklärung füllen, so wie die TeilnehmerInnen des Womensmarchs in Washington und auf der ganzen Welt die Straßen geflutet haben, um wachzurütteln.
Und deshalb werde ich jetzt auf Twitter auch denen folgen, die vielleicht nicht hören wollen, was ich ihnen zu sagen habe.
Es ist nicht mehr fünf Minuten vor Zwölf. Es ist eine Minute vor Zwölf. Wir müssen handeln. Jetzt.
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