Ich werde immer mal wieder gefragt, ob ich nicht einen Teil meiner Schreibaufgaben aus den Seminaren auch veröffentlichen könnte. Sozusagen als kleine "Kicks" zwischendurch für alle Schreibwütigen unter euch. Deshalb gibt es hier jetzt immer wieder mal eine kleine Übung zum Ausprobieren, unter dem Label Schreibkick könnt ihr dann nach und nach alle Schreibaufgaben finden.
Und nun zum ersten Kick:
Immer wieder merke ich in meinen Kursen, wie schwer es den TeilnehmerInnen fällt, einen Anfang für ihre Geschichte zu finden. Zu fest sitzt da noch das schulische "Einleitung - Hauptteil - Schluss" in ihren Köpfen.
Und dann folgen seitenlange Erklärungen und Einführungen, bevor es mit der Handlung dann richtig losgeht. Ich kenne das Problem gut aus meinen eigenen Büchern. Man glaubt, dem Leser erst alles erklären zu müssen, bevor er versteht, um was es eigentlich geht.
Aber das ist zum Gähnen langweilig. Wenn ein Wanderer eine Leiche findet, muss ich den Leser über einen nackten Arm stolpern lassen und ihm nicht erst erklären, was ein Wald ist oder ein Laubhaufen.
Solche Anfänge kann man üben.
Meine Teilnehmer haben immer riesigen Spaß mit folgender Übung:
Nehmt euch einen Roman aus dem Regal. Am besten ein Buch, das ihr nicht kennt. Ich hole für diese Übung oft einige Romane aus den öffentlichen Bücherschränken, die ja heute überall herumstehen. Es spielt keine Rolle, welches Genre ihr wählt. Selbst kitschige Arztromane sind für diese Übung geeignet.
Jetzt schlagt den Roman irgendwo auf und tippt mit geschlossenen Augen hinein. Schaut euch den Satz an, auf den ihr getippt habt und schreibt ihn ab.
Ihr könnt auch würfeln. Nehmt zwei Würfel und würfelt euch erst die Seite, die ihr aufschlagen wollt, dann die Zeile, in der euer Satz steht.
Jetzt schreibt ihr euren Satz oben auf ein leeres Blatt Papier. Und dabei ist es egal, ob es wörtliche Rede ist, eine Beschreibung, eine Frage. Ganz egal, was ihr gefunden habt, das ist jetzt euer erster Satz. Hier startet eure Geschichte. Und nun schreibt ihr die Geschichte weiter. Genau von diesem Satz aus.
Ich staune immer wieder, wie viel Fantasie meine Kursteilnehmer, selbst die jüngsten, bei dieser Aufgabe entwickeln, und was für spannende und vor allem unterschiedliche Geschichten dabei herauskommen.
Warum sollte man ein Buch nehmen, das man nicht kennt? Das ist einfach. Wenn ich einen Roman kenne, dann weiß ich in etwa, in welchem Zusammenhang der Satz steht, ich kenne Handlungsorte und Protagonisten und werde so schon im Voraus beeinflusst. Ein unbekannter Satz aus einem mir unbekannten Roman ist dagegen wie frischer Schnee.
Ich habe die Übung eben für mich auch mal wieder gemacht. Und bin auf folgenden Satz gestoßen:
Gegen vier Uhr morgens wurden alle abrupt geweckt, als jemand an die Haustür hämmerte.
(Leon Uris, Insel der Freiheit, Seite 498, Zeile 12)
Was für ein Anfang! Wer sind alle? Und wo schlafen sie? Wer hämmerte an die Haustür? Und vor allem: Warum??? Solche "ersten Sätze" sind wahre Schätze für neue Geschichten. Ich gehe dann mal schreiben.
Und wünsche euch viel Spaß mit dieser Übung!
1 Kommentar:
Das ist ein toller Tipp. Obwohl ich mich gerade gefragt habe, wie du auf die Seite 498 gekommen bist bei zwei Würfeln? ☺☺☺
Liebe Grüße Hanne
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