Trotzdem löste diese Bemerkung ein langes Gespräch am Familientisch aus, ein Gespräch darüber, wie sehr Kindheit sich verändert hat - und das wirklich nicht immer zum Guten.
Bevor die Sicherheitsfanatiker unter euch jetzt aufschreien - ja ich weiß, dass viele Dinge heute gefährlicher geworden sind. Höheres Verkehrsaufkommen, schnellere Autos, giftige Umwelt und und und ... trotzdem .. wenn ich meinen Kindern von meiner Kindheit erzähle, ernte ich leuchtende Augen und neidische Blicke. Und wir haben einmal gegenüber gestellt, wie das "damals" (ich bin Jahrgang 1963) war und wie es "heute" (2016) ist.
Und nochmal der Hinweis: Natürlich ist es völlig richtig, dass heute nicht mehr jeder Müll im Garten verbrannt werden darf und Autos nicht mehr im Hof gewaschen werden dürfen. Aber aus Kindersicht ist das auch sehr bedauerlich.
Damals: Regelmäßig jeden Samstag gab es ein großes Feuer im Garten, hier wurde das Altpapier und Gartenabfälle verbrannt. Über der Glut grillten wir Würstchen, wir kokelten mit langen Ästen, spielten Indianer und machten Rauchzeichen mit Badehandtüchern.
Heute: Feuer im Garten sind nicht mehr erlaubt, bestenfalls in einer Feuerschale. Wollen wir ein Lagerfeuer auf unserer Streuobstwiese machen, müssen wir vorher die Feuerwehr von unserer Absicht informieren und auf die Genehmigung warten.
Damals: In unserem Garten standen große Eisenstangen/Teppichstangen mit Wäscheleinen. Wir kletterten auf die Teppichstangen und spielten Zirkus. Kopfüber baumeln, hangeln, an Stangen hochklettern.
Heute: Kaum noch ein Kind kann an einer glatten Stange oder einem Seil hochklettern. Im Trockner kann man das so schlecht üben.
Damals: Ich schnallte mir alte Rollschuhe mit Einmachgummis an die Schuhe und sauste die steilen Straßen hinunter.
Heute: Inliner gibt es zum Glück, aber ohne Knieschoner, Handgelenkschoner, Ellbogenschoner und Helm darf kaum noch ein Kind auf die Straße.
Damals: Wir fuhren zum Campen nach Italien. Vater, Mutter, zwei Kinder. Papa baute die Rückbank seines PKW aus, dann kamen dorthin die Säcke vom Hauszelt, das Schlauchboot, die Luftmatratzen, das Gepäck und oben drauf die Bettwäsche. Auf diesem gemütlichen Gepäckberg kuschelten wir Kinder während der Fahrt. Gurte? Kindersitze? Gab es nicht.
Heute: Angeschnallt im Kindersitz für viele Stunden.
Damals: Die Landwirte stapelten kastenförmige Strohballen zu hohen Mieten am Wegrand. Wir bauten daraus Höhlen und Burgen, kletterten darauf herum, legten Wolldecken drüber und drunter.
Heute: Strohballen sind heute riesige Rollen, die abtransportiert werden.
Damals: Durch unser Dorf floss ein Bach, wir bauten Floße, Staudämme, fingen Fische und Kaulquappen, spielten stundenlang am Wasser
Heute: Der Bach fließt inzwischen unterirdisch, zum Fluss darf kaum ein Kind hier, man könnte ja ertrinken
Damals: Wir bauten Iglus und machten uns im Iglu ein Lagerfeuer
Heute: Schnee? Fehlanzeige. Lagerfeuer? Niemals und schon gar nicht ohne Erwachsene
Damals: Wir spielten auf der Straße Volleyball und Federball. Wenn ein Auto kam, wurde das Netz oder Seil eben kurz abgehängt, auf die Straße gelegt und das Auto fuhr langsam darüber.
Heute: Federball auf der Straße? Zu gefährlich.
Damals: Wir sind zur Grundschule gelaufen. Etliche Kilometer.
Heute: Die Kinder werden gefahren. Manchmal nur 500 Meter.
Damals: Radfahren ohne Helm
Heute: Radfahren nur mit Helm. Mit Kinderrad. Mit Stützrädern.
Damals: Nur zwei bis drei Fernsehprogramme. Und für Kinder nur am Nachmittag.
Heute: Kann man die Programme nicht mehr zählen. 24 Stunden Dauerberieselung.
Damals: wenn ich einkaufen ging, dann immer zuerst in den winzigen Edeka, danach zum Bäcker, zum Metzger, zum Bauern für Eier und Milch.
Heute: Aldi
Damals: wir malten stundenlang auf der Straße. Riesige Straßenbilder.
Heute: die Nachbarn schimpfen schon, wenn man nur auf dem Gehweg malt.
Damals: Wir kletterten auf jeden Baum.
Heute: Erst kürzlich wurden meine Jungs von einem "öffentlichen" Baum runtergejagt
Damals: Riesige Schneeballschlachten auf dem Schulhof
Heute: Schnee? Fehlanzeige. Und falls doch? Jedes meiner fünf Kinder musste schon einmal eine Strafarbeit zu diesem Thema schreiben: Warum es verboten ist, auf dem Schulhof mit Schneebällen zu werfen.
Damals ... ich könnte diese Liste endlos fortsetzen. Und sie macht mich - Sicherheit und Umweltschutz hin oder her - traurig. Das letzte Erlebnis dieser Art: K5 hatte in der Grundschule das Thema Feuer und Licht. Dazu sollten die Kinder Streichholzschachteln mitbringen. Leere!! Auf meine Frage, warum die denn leer sein sollen, bekam ich die Antwort: Damit die Kinder auf dem Schulweg nicht zündeln und keine Hecken oder Häuser anzünden.
Wenn wir unsere Kinder nur noch in Schutzanzüge stecken, ihnen jedes bisschen Eigenverantwortung absprechen und die Welt zubetonieren, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn sie losziehen und sich eigene Welten suchen. Und wenn sie die nicht mehr finden in der realen Welt - virtuelle Welten gibt es wie Sand am Meer.
Apropos Meer ... damals .. keine Angst, ich hör schon auf.
3 Kommentare:
Liebe Jutta,
vielen Dank für diese Erinnerungen. Ja, damals ☺ Heute werden wir mit EU-Normen überschüttet usw. Ich bin ja noch ein kleines bisschen älter als du ☺ aber ich habe gern in Heuballen rumgetobt, bin auf dem Rübenacker gewesen, mir etwas Taschengeld verdient, Gummitwist auf der Straße war erlaubt, heute ... schade, dass unsere Kinder als auch Enkelkinder so viele Dinge nicht erleben, wie wir.
Deine anderen Posts habe ich auch gelesen, danke dafür! Leider hatte mich im letzten Monat ein Virus total "niedergestreckt", so dass ich gar nicht zum kommentieren kam.
Aber du weißt, ich lese deine Beiträge sehr gern. Danke dafür!
LG Hanne
Liebe Hanne, es tut mir sehr leid zu hören, dass du so krank warst und ich hoffe von Herzen, dass es dir inzwischen besser geht! Ich habe mir mit diesem Post auch viel Kritik eingehandelt, weil es a) ein bisschen altbacken klingt zu sagen, früher war alles besser und weil es b) zum Teil ja wirklich berechtigt ist, manche Dinge nicht mehr zu erlauben. Es ist auch nicht so, dass ich glaube, dass früher alles besser war. Ich beobachte halt einfach nur das Spielverhalten meiner Jungs und merke, wie eingeschränkt sie in ihrem Freiheitsdrang oft sind. Hütten bauen im Wald, wild campen, Lagerfeuer machen ... das sind nun mal die Dinge, die Kindern Spaß machen und die ja sogar in uns Erwachsenen so einen Hauch von Kindheit zurückholen. Nicht umsonst boomt die Outdoorbranche ja gerade wieder. Ich muss oft an die Szene in Ronja Räubertochter denken, als Ronja das erste Mal alleine in den Wald will und Mattis so fürchterliche Angst hat, dass ihr was passieren könnte. Und er warnt sie vor der Gefahren und Ronja fragt, was mache ich denn, wenn ich in trotzdem in den Fluss falle? Dann musst du schwimmen .... ich glaube, das ist es, was mir ein bisschen fehlt. Das Vertrauen in unsere Kinder und ihre Fähigkeiten. Schuld daran sind auch all die Versicherungen und die Auseinandersetzungen damit. Unsere Kinder dürfen z.B. offiziell nicht mit dem Fahrrad zur Grundschule fahren. Egal, wie gut sie sonst radfahren oder ob sie mit dem Rad in der ganzen Stadt unterwegs sind. Das ist doch birnig. Aus Versicherungsgründen auf dem Schulweg. Meine fahren trotzdem. Überhaupt geht mir das ganze Überbehüten viel zu weit. Neuestes Erlebnis: Die Klasse veranstaltete einen Lesewettbewerb. Ein Mädchen gewann. Die ganze Klasse sollte der Siegerin applaudieren. K5 weigerte sich zu klatschen. Der Grund war nicht rauszufinden. Ob er das Mädchen nicht mag oder ob er traurig war, dass er nicht gewonnen hatte, keine Ahnung. Das Ergebnis: Ich erhielt einen Eintrag ins Elternheft: Ihr Kind weigerte sich gemeinsam mit der Klasse zu applaudieren. Bitte sorgen Sie für Aufklärung!
Hallo??? Gibt es jetzt schon Klatschzwang? Sollte ich mit meinem Kind vielleicht am besten gleich zu einem Therapeuten gehen, weil es nicht klatschen will?
Ehrlich. Manchmal bin ich sicher zu locker in meiner Erziehung. Aber da bricht das innere Trotz-Kind aus mir heraus, das sich all diesen Regeln und Verordnungen und Schubladen entgegenwerfen möchte. Und einmal mehr bin ich froh, dass die Jungs wenigstens bei den Pfadfindern noch ein bisschen von dem machen, was für uns als Kinder völlig normal war.
Liebe Grüße
Jutta
Hallo Jutta,
danke für diesen ausführlichen Kommentar. Und ja, es geht mir schon sehr viel besser. Also definitiv kann ich nicht sagen, das früher alles besser war. Das heutzutage alles doch etwas mehr als übertrieben wird, ist meine Meinung. Ich sehe es an unserem Enkel. Da muss es der Fahrradhelm sein. Da muss es ein ganz bestimmtes Laufrad sein. Aber das ist nicht nur bei ihm, andere Eltern handhaben es genauso. Weil die Wirtschaft ihnen das vorflüstert, wie gut dies und das ist. Doch ich sehe aber auch z. B. an meiner Tochter und Schwiegersohn, wie sie ihn immer wieder bestärken in seinen Versuchen, vieles auszuprobieren. Dein Beispiel mit Ronja Räubertochter ist gut. Ach es gibt Klatschzwang? Also in was für einer Welt leben wir denn? Ich habe mich grad an den Kopf gefasst, als ich deine Zeilen gelesen habe. Ich/Wir sehen viele Dinge eh etwas anders als Omas und Opas in unserem Umfeld. Dies mag daran liegen, dass meine Kinder frei und locker aufwachsen konnten. Sie in jedem Jahr bei der Oma für einige Zeit bei der Oma waren und dort auf dem Finkenborn in Hameln täglich das Sommerlager besucht haben. Leben in und mit der Natur, das haben sie dort gelernt. Was mir in der Stadt Stade nicht so möglich war. Aber egal. Jeder hat das Recht auf freie Meinung, aber ganz ehrlich, wenn ich noch mal auf das Klatschen zurückkomme, sind wir jetzt im Fernsehen, wo es den Vorklatscher für das Publikum gibt? Also wirklich. Wenn K5 nicht klatschen wollte, ist das seine Sache und dafür einen Eintrag ins Elternheft? Huch, was ist das?
Ich höre lieber auf, weil das sonst etwas ausarten könnte hier. Aber trotzdem noch einmal danke für diesen wirklich guten Post.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
Hanne
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